Von freien Kolben und Effizienz-Agenten

Technology Review stellt in loser Folge junge Innovatoren unter 35 vor: Shannon Miller macht Verbrennungsmotoren effizienter, indem sie mit sehr hohem Druck betrieben werden; Burcin Becerik-Gerber senkt mit Hilfe einer Smartphone-App den Energieverbrauch von Bürogebäuden.

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Von
  • Kevin Bullis
  • Peter Fairley

Technology Review stellt in loser Folge junge Innovatoren unter 35 vor: Shannon Miller macht Verbrennungsmotoren effizienter, indem sie mit sehr hohem Druck betrieben werden; Burcin Becerik-Gerber senkt mit Hilfe einer Smartphone-App den Energieverbrauch von Bürogebäuden.

Shannon Miller, EtaGen.

(Bild: Timothy Archibald)

Den Verbrennungsmotor noch drastisch zu verbessern, ist heutzutage schwierig. Ganze Generationen von Ingenieuren haben das Grundprinzip optimiert. Shannon Miller, 33, könnte das Kunststück dennoch gelungen sein: Sie lässt die Motoren mit sehr hohem Druck und Ausdehnungsfaktor des Kraftstoff-Luft-Gemischs laufen und kann damit den Spritverbrauch um ein Viertel senken.

Dass dieser Ansatz Motoren effizienter machen kann, ist an sich nicht neu. Knifflig ist jedoch, ihn praktisch umzusetzen. Hohe Ausdehnungsfaktoren führen zu extremen Temperaturen, was Energie verschwendet. Ein höherer Druck wiederum erhöht die Reibung zwischen Zylinder und Kolben.

Miller experimentierte daraufhin mit einer Konstruktion, in der Kolben ohne Pleulstange und Kurbelwelle auf und ab jagen. Solche Freikolbenmaschinen gibt es zwar schon lange, auch als Generatoren. Nur werden sie üblicherweise nicht mit einer sehr hohen Verdichtung betrieben. „Um das umzusetzen, genügt es nicht, ein, zwei Komponenten zu ändern“, sagt Miller, die in Stanford in Maschinenbau promoviert hat und dann bei Tesla Motors arbeitete. „Sie müssen den gesamten Maschinenaufbau neu anlegen.“

Um den neuen Motor zur Marktreife zu entwickeln, gründete sie 2010 mit Adam Simpson die Firma EtaGen. Der Prototyp, den EtaGen gebaut hat, läuft zuverlässig und hält über Stunden die vorgegebenen Leistungswerte ein. Die bisherigen Versuchsergebnisse zeigten, dass neue Versionen des Motors den Wirkungsgrad großer Kraftwerke erreichen könnten, sagt Miller. Jedenfalls dann, wenn man den Energieverlust während der Stromverteilung mit einrechne.

Das erste kommerzielle Produkt soll herkömmliche Diesel- und Erdgasgeneratoren ersetzen, mit denen Firmen sich unabhängig vom Stromnetz machen oder für Stromausfälle rüsten. Die EtaGen-Maschine läuft sowohl mit Diesel als auch mit Erdgas. Irgendwann könnte sie auch als Bordgenerator für Elektroautos wie den Volt von General Motors eingesetzt werden, sagt Miller.

Burcin Becerik-Gerber, University of Southern California.

(Bild: John Ritter)

Büro- und Gewerbegebäude verbrauchen einen beträchtlichen Teil der Endenergie eines Industrielandes: In den USA sind es knapp 20 Prozent, in Deutschland immerhin zehn Prozent. Die Umweltingenieurin Burcin Becerik-Gerber, 35, hat einen ungewöhnlichen Weg gefunden, um den Energieverbrauch zu senken: Sie lässt Gebäudetechnik und Arbeitende über eine Smartphone-App miteinander „verhandeln“.
Die Gebäudetechnik moderner Bürobauten bietet die Möglichkeit, Klimaanlagen oder Lampen in Abhängigkeit von Temperatur oder Helligkeit zu regeln. Doch immer wieder machen Mitarbeiter dem Konzept einen Strich durch die Rechnung, indem sie zusätzliche elektrische Heizkörper aufstellen oder Fenster offen stehen lassen. Um diesen Unsitten Einhalt zu gebieten, setzt Bercerik-Gerber, die an der University of Southern California forscht, ein Smartphone-basiertes Agentensystem ein.

Die dazugehörgige App entwickelte die Ingenieurin mit Unterstützung von Sozialpsychologen und Informatikern. Die Anwendung fragt zunächst die Mitarbeiter, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeitsumgebung sind. Faktoren sind unter anderem Temperatur, Lichtverhältnisse, Luftqualität und Lärm. Aus den Antworten wird ein Profil der individuellen Vorlieben und des damit verbundenen Energieverbrauchs einer Person errechnet. Das Profil wird dann einem Software-Agenten in der App übergeben. „Dieser Agent arbeitet für Sie und kümmert sich um ihre Präferenzen“, erläutert Becerik-Gerber.

Die Agenten der gesamten Belegschaft in einem Gebäude versuchen nun, gemeinsam eine Einstellung für Raumklima und Beleuchtung zu finden, die möglichst wenig Energie braucht und möglichst viele Mitarbeiter zufrieden stellt. Diejenigen, deren Verhalten mehr Energie als der Durchschnitt benötigt, werden gefragt, ob sie von ihren Idealbedingungen ein wenig abrücken wollen. Die App zeigt ihnen an, wieviel Energie sie damit einsparen helfen. „Wenn die Menschen die Konsequenzen verstehen, sind sie toleranter“, sagt Becerik-Gerber. Ist das Aushandeln über die Agenten abgeschlossen, werden die Parameter an die Gebäudetechnik übermittelt und fortan überwacht.

Wenn nur fünf Agenten verhandeln, ist das für die Software schon anspruchsvoll, bei Hunderten von Büromitarbeitern eine Herkules-Aufgabe. Erschwert wird der Prozess noch durch Großraumbüros, in denen Menschen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen einer idealen Arbeitsumgebung direkt nebeneinander sitzen. Die Simulationen von Becerik-Gerber zeigen jedoch, dass ihre Algorithmen Lösungen finden können, die 70 Prozent der Belegschaft zufrieden stellen und zugleich den Energieverbrauch um 30 Prozent senken. (nbo)