Gnome-Gründer: Warum der Linux-Desktop gescheitert ist

Laut Miguel de Icaza hat sich Linux auf Desktops nicht durchgesetzt, weil es Inkompatibilitäten zwischen Linux-Distributionen gab und sich die Infrastruktur ständig änderte.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Miguel de Icaza

(Bild: James Duncan Davidson/O'Reilly Media (CC BY 2.0))

Aufgrund von Inkompatibilitäten zwischen Linux Distributionen und ständigen Änderungen an der Infrastruktur ohne Rücksicht auf Abwärtskompatibilität hat sich Linux auf Desktop-PCs nicht durchgesetzt. Das schreibt Miguel de Icaza im Blog-Eintrag "What Killed the Linux Desktop"; de Icaza ist einer der beiden Gründer des Gnome-Projekts. Bei der Entwicklung des Gnome-Desktops ist de Icaza aber nicht mehr involviert; vielmehr hat er in den letzten Jahren vor allem durch das von ihm mitbegründete Mono-Projekt und dessen .NET-Laufzeitumgebung Aufsehen erregt.

Mitschuld an den Problemen von Linux auf den Desktop trage laut de Icaza die Entwicklerkultur, die um Desktopsoftware entstanden sei. Hier habe Linus Torvalds einen Grundton vorgegeben, als er feste Treiberschnittstellen ausgeschlossen habe. Die Kernel-Entwickler hätten gute Gründe dafür gehabt und die Macht, dies durchzudrücken. Die Desktop-Entwickler hätten die Einstellung übernommen, aber keine vergleichbare Macht gehabt. Sie hätten aus verschiedenen Gründen ständig Änderungen an den Schnittstellen vorgenommen, ohne dabei sonderlich auf Abwärtskompatibilität zu achten – das war für Open-Source-Programme auch nicht unbedingt nötig, da die Entwickler diese gleich mit anpassen konnten.

Neben diesen Aspekt führt de Icaza an, die Linux-Distributoren hätten sich nicht auf einen gemeinsamen Satz an Kernkomponenten einigen können – etwa weil sie miteinander konkurrierende Lösungen vorantrieben. Verschlimmert wurde die Situation, weil die jeweils dominierende Distribution ("Distro of the Day") kein Interesse daran hatte, Zugeständnisse zu machen, da das anderen Distributionen ein Aufholen erleichtert hätte. "Inkompatibel zu sein wurde zum Weg, den Marktanteil zu vergrößern" schreibt de Icaza.

Diese beiden Probleme hätten das Ökosystem für die Entwickler von Anwendungen zerstört – selbst wenn diese einmal eine Anwendung für eine oder die drei wichtigsten Distributionen entwickelten, hätten sie sechs Monate später teilweise feststellen müssen, dass ihre Software nicht mehr arbeitet. Die Open-Source-Entwickler hätten laut de Icaza das große Ganze nicht im Blick gehabt. Er führt noch einige Aspekte rund um die Probleme von Linux auf dem Desktop an – so sei Abwärtskompatibilität und Kompatibilität zwischen Linux-Distributionen kein "sexy" Problem und uninteressant zu lösen. Ein Photoshop aus 2001 laufe hingegen noch auf Windows 8 und alte Mac-OS-X-Anwendungen arbeiteten auf dem kürzlich vorgestellten Mountain Lion. De Icaza geht auch darauf ein, was seiner Ansicht nach zur gestiegenen Verbreitung von Mac OS X beigetragen habe, und schließt mit den Worten, sich nicht dafür zu schämen, dieser Tage Mac OS X zu mögen.

De Icaza erwähnt in dem Blog-Beitrag zudem, dass er mit Gnome 3 recht zufrieden ist: Die Gnome-Entwickler hätten einen guten Job gemacht. In dem Zug verweist er zudem auf den Wired-Artikel "How Apple Killed the Linux Desktop and Why That Doesn’t Matter", das von einem Gespräch mit de Icaza berichtet, in dem er ebenfalls Aspekte rund um Linux auf Desktops anspricht, aber auch die Bedeutung eines offenen Web betont.

Wie bei jedem Meinungsbeitrag kann man darüber streiten, wie weit de Icaza mit seinen Überlegungen den Nagel auf den Kopf trifft. Das Beispiel mit dem Grundton, den Linus Torvalds gesetzt haben soll, lässt sich etwa leicht angreifen. Der Linux-Vater mag von stabilen Treiberschnittstellen innerhalb des Kernels nichts halten, wie de Icaza anmerkt; Abwärtskompatibilität zu Userspace-Software ist ihm aber überaus wichtig. Er entfernt daher immer mal wieder Änderungen aus Entwicklerversionen des Kernels, wenn er erfährt, dass sie existierende Programme stören. Dabei ist nicht von Belang, ob diese Software quelloffen ist oder nicht. (thl)