Deutschsprachige Wikipedia wird gedruckt: 80.000 Seiten freies Wissen

Schneller als gedacht soll die erste vollständige Print-Ausgabe der freien Enzyklopädie Wikipedia auf den Markt kommen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Schneller als gedacht soll die erste vollständige Print-Ausgabe der freien Enzyklopädie Wikipedia auf den Markt kommen. Die Berliner Zenodot-Verlagsgesellschaft kündigt kurz nach dem fünften Geburtstag der Wikipedia unter dem Namen WP 1.0 eine deutsche Printausgabe an. Die Enzyklopädie soll 100 Bände umfassen.

Schon Ende 2006 sollen die ersten zwei Bände der neuen Enzyklopädie erscheinen, ab Januar 2007 sollen jeden Monat zwei Bände mit jeweils 800 Seiten folgen. Bis das Werk also vollständig in den Bücherregalen steht, werden nach den Plänen des Verlags noch 5 Jahre vergehen. Der Verlag Zenodot ist zusammen mit Directmedia schon für den Vertrieb der ersten Taschenbuchserie aus Wikipedia-Inhalten verantwortlich, die Ende 2005 auf den Markt kam. Directmedia hatte in den letzten Jahren schon Erfahrung mit der Produktion und dem Vertrieb von Wikipedia-CDs und -DVDs gesammelt.

Um das ambitionierte Projekt stemmen zu können, setzt der erst 2005 gegründete Verlag auf ein Subskriptionsmodell. Ab sofort können Interessenten die Enzyklopädie schon fest bestellen. Ein Band kostet für die Vorbesteller 14,90 Euro, einzeln sollen die Bände 18,50 Euro kosten. Insgesamt wäre die Enzyklopädie damit für rund 1500 Euro zu haben. Das ist zwar noch deutlich billiger als die bald erscheinende 21. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie, aber teurer als die angesehene Encyclopaedia Britannica. Der Umfang des Wikipedia-Drucks lässt die etablierte Konkurrenz aber weit hinter sich.

Ganz in trockenen Tüchern ist das Projekt noch nicht. Damit der Druck der Enzyklopädie wirtschaftlich rentabel ist, muss eine Mindestzahl an Subskribenten geworben werden. Noch steht die notwendige Zahl der Vorbesteller nicht fest, der Verlag will die Fortschritte und die Planungen auf seiner Webseite präsentieren.

Als Zielgruppe hat sich Zenodot einen Kundenkreis ausgeguckt, der nicht unbedingt heute schon routinemäßig auf die Online-Ausgabe der Wikipedia zugreift. Viel Platz brauchen die Käufer auch: Zenodot hat ausgerechnet, dass mit den 100 Bänden – jeder soll einen Umfang von 800 Seiten haben – ein komplettes IKEA-Bücherregal gefüllt werden kann. Wer selbst kein solch monumentales Werk unterbringen kann, kann eine Ausgabe für eine soziale Einrichtung spenden. Zenodot verspricht, für jede gespendete Ausgabe eine Gratis-Ausgabe zusätzlich zu liefern.

Insgesamt 25 Verlagsmitarbeiter sollen sich um die Erstellung der Enzyklopädie kümmern. Damit diese die gewaltigen Textmengenverarbeiten können – immerhin sollen monatlich 1600 Seiten fertig aufbereitet werden – sind sie auf die Mithilfe der Wikipedia-Community angewiesen. Die freiwilligen Helfer sollen das Projekt unterstützen, indem sie jeden der bisher 350.000 Artikel alphabetisch sortiert durchgehen und aufarbeiten. Bisher sind Qualitätsoffensiven eher an bestimmten Themen orientiert. Die Verantwortung für die Inhalte liegt letztlich beim Verlag.

Obwohl die Wikipedia-Inhalte immer wieder wie zuletzt beim Test des Wissenschaftsmagazin Nature gut abgeschnitten haben, ist die Wissensplattform nicht ohne weiteres in eine Print-Werk umzuwandeln. Dass die von Freiwilligen zusammengetragenen Inhalte ohne intensive Nachredaktion nicht in Bücherform gebracht werden konnten, hatte Zenodot schon bei der Wikipress-Bücherreihe erfahren. Die Auslieferung der Bücher verzögerte sich zum Teil deutlich, weil die Endredaktion mehr Zeit in Anspruch nahm als vorher gedacht. Auch über die rechtlichen Risiken ist sich der Verlag im Klaren: Im Rechtsstreit um den Namen des Hackers Tron hatte sich Geschäftsführer Ralf Szymanski in einem offenen Brief an die Seite der Wikipedia gestellt.

Die gedruckte Enzyklopädie soll nicht nur die besten Artikel der Wikipedia enthalten, geplant ist, so viele Artikel wie möglich aus dem Bestand der freien Enzyklopädie zu übernehmen. Die zum Teil gar nicht klassischen Artikelauswahl der Wikipedia-Community sieht der Verlag als Pluspunkt, er bezeichnet das Werk als modern, kontrovers und facettenreich — "kurz: eine Enzyklopädie so komplex wie die Welt, die sie beschreibt." (Torsten Kleinz) / (jk)