Sympathy for the Devil
Hintergrund: Copyright-Fragen sind die eine Seite; die andere die neuen Chancen, die Musiker im Internet entdecken - bis hin zu virtuellen, weltweiten Jam-Sessions.
Ungeachtet aller Auseinandersetzungen um Copyright und Urheberrechte im Zeitalter digitaler komprimierter Musik über das Internet entdecken Musiker immer neue Chancen, die das Netz der Netze ihnen bietet. Wer im Multimedia-Zeitalter seine eigenen Hits komponieren will, muss dazu nicht einmal mehr ein Instrument beherrschen. Nur mit Computer-Tastatur und Maus muss man sich auskennen – den Rest erledigt der PC. Handelsübliche Software-Programme, die schon für unter 100 Mark zu haben sind, liefern satten Streicherklang, hämmernde Beats und sphärischen Synthesizer-Sound aus der Festplatten-Konserve. Jetzt ist die Computertechnik noch einen Schritt weiter: Neuerdings muss man auch für Jam-Sessions mit Musikern am anderen Ende der Welt nicht mehr in den Flieger steigen, sondern sich nur noch an den Rechner setzen. Wie man im Internet gemeinsam Musik machen kann, wurde auf der Frankfurter Musikmesse demonstriert, die am Sonntag zu Ende ging.
Die Datenkomprimierung mittels des MP3-Verfahrens macht's möglich: In Sekundenbruchteilen können komplette Musikstücke einmal rund um den Globus geschickt werden. Auf diese Weise lassen sich Titel aus dem weltweiten Datennetz auf den heimischen PC laden, aber umgekehrt auch Eigenkompositionen einspeisen. So kann ein Musiker in Frankfurt gemeinsam mit einer Band in New York in einer Art virtuellem Aufnahmestudio eine Platte produzieren und das Ergebnis direkt auf CD brennen. Was relativ einfach klingt, erfordert ein kompliziertes Computerprogramm, das die riesige Datenmenge so schnell bewältigt, dass die Partner in Echtzeit kommunizieren und musizieren können.
Nach Angaben von Christian Riesenmey vom Hamburger Software- Produzenten Steinberg gibt es derzeit nur einen Anbieter, die kalifornische Firma Rocket Network, die ein solches Programm ins Netz gestellt hat. Noch nutzten auch erst wenig Musiker das Angebot. "Das fängt gerade erst an", sagt Riesenmey, "aber ich bin sicher, dass sich das durchsetzen wird." Seine Firma kooperiert mit Rocket Network und liefert neben der ebenfalls in Hamburg ansässigen Firma Emagic den für den Musikaustausch nötigen so genannten Sequenzer: Die Software für ein Cyber-Mischpult, mit dem die Musiker ihre Kompositionen am Computer einspielen und wie in einem richtigen Studio bearbeiten können.
"Man stöpselt seine Gitarre an den PC an, gibt dem Rechner den Befehl: Ich will eine Begleitung im 4/4-Takt, Tonart C-Dur, bestimmte Akkorde, bestimmtes Tempo, die und die Instrumente", erklärt der Kasseler Gitarrist Harald Wehnhardt, der Chefredakteur der Zeitschrift "PC & Musik" ist und selbst am Computer komponiert. "Auf diesen Klangteppich legt man dann sein Solo." Wer kein Instrument spielt, kann auf Rohmaterial, so genannte Sampler, als Grundlage zurückgreifen. "Die mit dem Sequenzer bearbeiteten Stücke kann man dann anderen Musikern im MP3-Format über das Internet schicken, und die können ihre eigenen Sachen dazu aufnehmen".
Neben den Kosten für die Sequenzer-Software fallen bei Rocket Network Gebühren für die "Miete" eines eigenen virtuellen Aufnahmestudios an, umgerechnet ab rund 200 Mark jährlich. Insgesamt ist das wesentlich billiger, als Musiker von verschiedenen Kontinenten zusammenzutrommeln und ein richtiges Studio zu mieten. Die Technik hat nur ein Manko: Gleichzeitig von mehreren Orten der Welt aus ein Stück spielen, das geht nach Darstellung Riesenmeys noch nicht. Da aber auch bei herkömmlichen Musikaufnahmen die einzelnen Bestandteile von Musikstücken meist nacheinander eingespielt würden, sei das nicht schlimm.
Nach Einschätzung Wehnhardts bietet die virtuelle Musikproduktion große Chancen. "Theoretisch könnte man mit Tina Turner oder dem Jazzgitarristen George Benson spielen" – wenn die denn wollten. Viele seiner Musiker-Kollegen hätten jedoch noch Berührungsängste, meint der Jazzer: "Die besten Jam-Sessions sind immer noch die in den kleinen, verräucherten Clubs, wo man zusammen auf der Bühne steht und den Schweiß des anderen riecht." (Nicola Prietze, dpa) (jk)