Zivilgesellschaft wappnet sich gegen die Vorratsdatenspeicherung

Nicht-Regierungsorganisationen wollen mit einer internationalen Kampagne für Anonymisierungsnetze und der Vorbereitung einer Verfassungsbeschwerde der verdachtsunabhängigen Aufzeichnung von Nutzerspuren entgegenwirken.

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Nicht-Regierungsorganisationen wollen mit einer internationalen Kampagne für Anonymisierungsnetze und der Vorbereitung einer Verfassungsbeschwerde der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetdaten entgegenwirken. "Deutschland hat eine Leuchtturmfunktion" im Kampf gegen die verdachtsunabhängige Aufzeichnung von Nutzerspuren, erklärte Ricardo Remmert-Fontes vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am Freitag bei einem Pressegespräch über ein Aktivistentreffen unter dem Dach der "European Digital Rights"-Initiative ( EDRi ) in Berlin. Es handele sich um eines der letzten Länder in der EU, in dem es noch nennenswerten Widerstand gegen die pauschale Protokollierung der Telekommunikation gebe.

Die geplanten Maßnahmen umfassen sowohl technische Mittel zum Selbstschutz als auch ein juristisches Vorgehen gegen die bereits bestehenden oder geplanten politischen Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung. Einen Ansatzpunkt bildet laut Remert-Fontes die Einrichtung einer Dachorganisation zivilgesellschaftlicher Gruppen zur Unterstützung des Anonymisierungsdienstes Tor. Ziel sei es, mehrere große Tor-Server aufzusetzen. Dafür sollen unter anderem WLAN-Hotspots zur Verfügung gestellt werden, die als Knoten für das die Nutzerspuren verwischende Netzwerk vorkonfiguriert sind. Für die Produktion der Geräte im "industriellen Maßstab" hätten "große Partner aus den USA" wie finanzstarke Mitglieder der dortigen Bürgerrechtsgesellschaft Electronic Frontier Foundation ( EFF) ihre Unterstützung zugesagt. Mit dem Vorstoß solle zugleich gerichtlich geklärt werden, "ob es ein Recht auf anonyme Kommunikation im Internet gibt".

Laut dem ebenfalls im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung aktiven Forscher Ralf Bendrath ist ferner eine Beschwerde beim EU-Ombudsmann über das Zustandekommen der EU-Richtlinie zur Aufzeichnung der Nutzerspuren geplant. Die Folgenabschätzung der EU-Kommission sei mangelhaft gewesen, die präzisen rechtlichen Vorgaben dazu nicht seien nicht eingehalten worden. Auch würden die Brüsseler Vorgaben EU-weit "total unterschiedlich" umgesetzt. Der Harmonisierungsansatz der Kommission sei damit größtenteils gescheitert. Dänemark etwa fange bereits an, entgegen der EU-Bestimmungen auch Inhaltsdaten der Internetkommunikation zu erfassen. Die Provider dort müssten "jeweils das erste oder das letzte" beziehungsweise "jedes fünfhundertste" Päckchen aus dem Datenverkehr speichern.

In Großbritannien, wo der Gesetzgeber die Internetbestimmungen zunächst aus der Umsetzungsregelung ausgeklammert hat, gibt es laut Bendrath derweil Anzeichen für "zivilen Ungehorsam" von Providern. So habe die auch als Zugangsanbieter agierende Organisation GreenNet angekündigt, die begehrten Verbindungsdaten möglichst erst gar nicht erzeugen und so die Speicherverpflichtungen zu unterwandern.

Rosemarie Will von der Humanistischen Union (HU) machte Anmerkungen zu einem parallel abgehaltenen Treffen mit Vertretern von Oppositionsparteien und dem Ex-NRW-Innenminister Burkhard Hirsch zur Abwägung der Chancen einer Verfassungsbeschwerde gegen die Pläne der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung. Die Juristin geht davon aus, dass der Bundestag das entsprechende Gesetzesvorhaben noch vor dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) über die Klage Irlands gegen die EU-Vorgaben verabschiedet. Danach will die HU zunächst ihr Lobbying innerhalb der einjährigen Frist zum Einspruch in Karlsruhe auf ein nicht allein auf Verfahrensregeln ausgerichtetes Urteil in Luxemburg legen. Die Chancen dafür seien nicht schlecht, da es zumindest auf Ebene der Generalanwaltschaft bereits Bedenken gegen eine zu weite Fassung der Richtlinie und die Möglichkeit zur Einbeziehung der Vorratsdaten in zivilrechtlichen Verfahren gegen Urheberrechtsverletzer gebe.

Sollte der EuGH die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung nicht kassieren, sieht Will mit den deutschen Umsetzungspläne das hiesige Grundgefüge der informationellen Selbstbestimmung gravierend verletzt. Die Unterschreitung der Grundrechtsstandards sei so groß, dass das Bundesverfassungsgericht die Sache in Gänze überprüfen oder versehen mit eigenen Aspekten dem EuGH vorlegen dürfte. Zudem sieht die Rechtsprofessorin Karlsruhe am Zug, weil die EU ihren Kompetenzbereich überschritten habe. Die Bemühungen der HU sieht Will als Ergänzung zu der vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung bereits initiierten Massenbeschwerde gegen die Novelle der TK-Überwachung. Ihre Devise: "Man muss von vielen Seiten rangehen." (Stefan Krempl) (akl)