Kommentar: Nokia - eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

Kein großer Knall, kein Lametta: Mit den neuen Lumias steht Nokia jetzt nicht plötzlich blendend da. An den zwei ansprechenden Smartphones liegt das allerdings nicht.

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Die Erwartungen waren hoch: Von einer "Schicksalsstunde" war die Rede, einem entscheidenden Moment für Nokia und insbesondere für CEO Stephen Elop, dessen persönliches Schicksal eng mit dem Strategiewechsel und der Wette auf Windows Phone als einziges Smartphone-Betriebssystem verknüpft ist. Doch der erwünschte "Wow"-Effekt ist ausgeblieben, bei den Beobachtern aus der Branche ebenso wie an der Börse, wo es erstmal einen auf die Glocke gab. Für Nokia hätte der Tag besser laufen können. An den neuen Lumia-Smartphones lag das allerdings nicht.

Mit den Lumias 820 und 920 zeigen die Finnen, dass sie immer noch tolle Handys bauen können. Die Prototypen, die Nokia am Mittwoch in Berlin gezeigt hat, hinterlassen einen guten Eindruck. Der Hersteller bleibt bei seiner Linie, was Design und Verarbeitung angeht. Dabei herausgekommen sind Smartphones, die vielleicht nicht in jeder technischen Kategorie neue Bestmarken setzen, aber auf der Höhe der Zeit und eine runde Sache sind. Einen Vierkernprozessor vermisst man nicht.

Mit NFC, Mehrband-LTE und kabelloser Aufladung setzt Nokia zudem Impulse für Techniken, die im Smartphone-Mainstream noch nicht etabliert sind. Das 920 hat Wireless Charging nach dem Qi-Standard des Wireless Power Consortiums schon eingebaut, für das 820 gibt es ein spezielles Cover als Zubehör. Die passende Ladestation muss man bei beiden dazukaufen. Natürlich lassen sich die Lumias auch ganz normal über einen USB-Anschluss aufladen. Der Akku des 920 ist leistungsfähiger als der des 820, dafür lässt sich die Batterie beim kleineren Lumia tauschen.

Ein bisschen geschummelt: Das Werbevideo suggeriert eine Aufnahme mit dem Lumia 920. Im Fenster des Trailers rechts spiegelt sich der parallel fahrende Van und etwas, das aussieht wie ein Kameramann.

Der mechanische Bildstabilisator im Lumia 920 kann auf den ersten Eindruck überzeugen. Die beweglich gelagerte optische Einheit sorgt dank Optical Image Stabilisation (OIS) auch bei zittrigen Händen für entwackelte Bilder und Videos. Dazu kommt eine neuer Bildsensor, der auch in dunkleren Umgebungen noch brauchbare Fotos liefert. Das alles läuft bei Nokia auch unter der Bezeichnung "Pureview", was für ein bisschen Verwirrung sorgte: Denn den Begriff kennen wir von dem 41-Megapixel-Smartphone 808, dessen Bildkraft bisher kein anderes Smartphone erreicht. Auch das Lumia 920 mit seiner 8,7-Megapixel-Kamera nicht, obwohl es wirklich gute Bilder macht. Dass Nokias Marketing-Abteilung in dem Werbevideo, das die OIS-Technik illustrieren soll, geschummelt hat, war auch so einer dieser Misstöne, die den Gesamteindruck trüben. Die Finnen haben sich dafür bereits entschuldigt und versprechen mehr Transparenz.

Auffällig war bei der Vorstellung der neuen Lumia-Smartphones, dass kaum etwas Neues über Windows Phone 8 zu erfahren war. Zwar war Microsoft mit Steve Ballmer und Windows-Phone-Chef Joe Belfiore hochkarätig vertreten, doch wollen die Redmonder die Präsentation des neuen Betriebssystems wohl lieber selbst übernehmen. Die nächste Version kann jetzt auch Screenshots machen, verriet Belfiore. Was er sonst noch auf der Nokia-Bühne in New York zeigte, war bekannt. Nokia hat sich für seine Show auf die Hardware und eigene Software konzentriert, jetzt ist Microsoft am Zug und muss helfen, die Plattform zu etablieren.

Was noch fehlt: Ein Preis und ein Termin für die Markteinführung, Namen von Netzbetreibern. Soll es auch bald geben, haben die Finnen versprochen. In der Gerüchteküche heißt es, das Lumia 920 solle in Deutschland Mitte Oktober für rund 600 Euro zu haben sein, das 820 zwei Wochen später für etwa 450 Euro. Vielleicht wartet Nokia noch auf Microsoft und bis der Hype um das neue iPhone, das es nächste Woche zu bestaunen gibt, wieder abgeklungen ist. Doch es ist wieder so ein Detail, das fehlt, und weshalb die Neuvorstellung wohl nicht ganz das erwünschte Echo hatte.

Die Börse straft so etwas eiskalt ab. Der Kurs der Nokia-Aktie brach am Mittwoch noch während der Veranstaltung ein. Anzunehmen, dass da auch Mitnahme-Effekte eine Rolle spielen, dass Spekulanten auf den Hype vor einer Produktpräsentation gewettet und dann Kasse gemacht haben. Die von den Anlegern herbeigesehnte Erlösung für Nokia sind die neuen Lumias jedenfalls nicht. Das ist auch zu viel erwartet von einem Telefon. Für die Finnen sind sie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Der Weg zum Ziel ist aber noch lang.

Zu den neuen Nokia-Smartphones mit Windows Phone 8 siehe: