Digitale Geschäftsmodelle verzweifelt gesucht

Im Rahmen der Berlin Music Week diskutierten Vertreter aus Musikbranche und Politik über neue Geschäftsmodelle im digitalen Zeitalter, kamen der Lösung des gordischen Knotens dabei aber auch nicht näher.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 262 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die Politik wird die Probleme der Musikindustrie nicht lösen können. "Es ist nicht Aufgabe der Politik, Geschäftsmodelle zu entwickeln", sagte die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) am Freitag auf einer Veranstaltung im Rahmen der Berlin Music Week. Unter dem Banner "New Music, New Business?" waren Vertreter aus Musikbranche und Politik im Spreespeicher in Berlin-Friedrichshain zusammengekommen, um mal wieder über die Zukunft der Branche in einer digitalisierten Welt zu sprechen. Dabei wurde klar: Das Geschäftsmodell, mit dem alle glücklich werden, gibt es nicht. Aber ein paar Chancen.

Die Digitalisierungswelle, die zuerst die Musikindustrie überrollte, hat auch neue Freiheiten gebracht."Freiheit bedeutet Kontrollverlust", sagte Musikmanager Tim Renner. Es ist genau dieser Kontrollverlust, der der Branche bis heute Kopfschmerzen bereitet. Die finde gegen diese Herausforderungen nicht immer das richtige Rezept, meint Renner, und wenn, brauche sie dafür zu lange. 2011 habe die deutsche Musikindustrie immer noch 83 Prozent ihres Umsatzes mit physischen Tonträgern gemacht und bleibe damit hinter anderen Ländern zurück.

Das Schicksal der Musikindustrie drohe jedem, dessen Produkt digitalisierbar sei, konstatierte Renner und wunderte sich, dass es branchenübergreifend offenbar wenig Lerneffekte gibt. "Wenn ich sehe, wie die Filmwirtschaft auf Kino.to reagiert, anstatt was Eigenes zu machen, das genauso aktuell ist, denke ich: Das haben wir doch vor 15 Jahren falsch gemacht, warum müsst ihr das jetzt wieder falsch machen?" Dabei gebe es einen Markt für kostenpflichtige Angebote. Dem Teenager-Alter entwachsene Nutzer hätten weder Lust noch Zeit, sich umständlich durch illegale Klickhöllen zu navigieren.

Die legalen digitalen Angebote müssen mit den illegalen konkurrieren können, da sind sich die Diskutanten einig. "Es muss einfach und auch kostenlos sein", sagte Stefan Zilch von Spotify. Der Manager des Streaming-Anbieters kennt die Schwierigkeiten, die neue Geschäftsmodelle oft mit dem Establishment der Industrie bekommen. Da ist zum Beispiel die Verwertungsgesellschaft GEMA, deren etablierte Verfahren nicht mit neuen Angeboten harmonieren. "Die GEMA will pro Stück vergüten, Streaminganbieter können das mit ihrem Geschäftsmodell nicht", erklärte Renner.

Zypries will in das allgemeine GEMA-Bashing nicht einstimmen, sieht aber durchaus Handlungsbedarf, die Strukturen an neue Anforderungen anzupassen. "Unternehmen wie Springer und Apple verdienen im Digitalbereich viel Geld, es geht also", sagte die SPD-Politikerin. Zilch betonte, dass Spotify rund 70 Prozent seiner Umsätze an die Industrie weiterreiche. Beim Künstler kommt davon allerdings nicht unbedingt was an. "Die wesentliche Frage für die Politik ist, wie können die Urheber auch daran verdienen", sagte Zypries, die auch die soziale Absicherung der Künstler auf dem Zettel hat. Ihr Berliner Parteifreund Björn Böhning will die lokale Musikwirtschaft nach dem Vorbild der Filmförderung gezielt fördern.

"Wir müssen jetzt möglich schnell neue Vermarktungsmöglichkeiten schaffen und dürfen uns nicht in Debatten verlieren", meinte Zypries. An der nötigen Geschwindigkeit hapert es oft, wie Renner eingangs illustriert. Die Musikbranche habe über sechs Jahre gebraucht, um auf Napster zu reagieren. Eine Patentlösung gebe es aber nicht, sagt der ehemalige Chef von Universal Music. "Den alten Geschäftsmodellen nachweinen bringt es aber auch nicht". Das Netz biete neue Möglichkeiten der Selbstvermarktung und der Finanzierung per Crowdfunding. Zilch verweist zudem auf neue Plattformen, die Urheber und potenzielle Verwerter zusammenbringen. "Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden", sagte Renner. Labels müssten wieder mehr Dienstleister der Künstler sein. Das aber hat sich bis zu den Majors offenbar noch nicht herumgesprochen. (vbr)