Pressekodex für Wikipedia wegen Streit um "Tron"-Artikel gefordert

In der Auseinandersetzung um die Nennung des Klarnamens des Hackers "Tron" haben sich die Eltern des Verstorbenen selbst zu Wort gemeldet, während Wikimedia einen Vergleich angeboten hat, der aber die Rechtsauffassung der Stiftung beibehält.

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In der juristischen Auseinandersetzung um die Nennung des Klarnamens des Berliner Hackers "Tron" im Online-Nachschlagewerk Wikipedia haben sich erstmals die Eltern des 1998 Verstorbenen selbst zu Wort gemeldet. Sie möchten demnach mit dem von ihnen angestrengten Verfahren erreichen, "dass Wikipedia in Zukunft zumindest versucht, sich an die Gesetze und den Pressekodex zu halten". Gelänge dies, "hätte Tron noch sieben Jahre nach seinem Tod die Welt etwas zum Besseren verschoben". Dabei geht es den Eltern zufolge nicht nur um den Persönlichkeitsschutz ihrer eigenen Familie. Die bereits erfolgten "Drohungen gegen Trons Vater, den Anwalt und ein Angriff gegen das Gästebuch von Tronland" seien "eher noch harmlos" im Vergleich zur Beibehaltung der vollen Namensnennung von Betroffenen bei einem "spektakulären Sexualmord oder Terroranschlag".

Die Forderung nach strengeren medienethischen Regelungen bei der kollektiv erstellten Online-Enzyklopädie ist Teil einer heise online vorliegenden Stellungnahme, welche die Eltern des früh zu Ruhm gekommenen und mit 26 Jahren verstorbenen Chipkarten-Hackers an ihren Berliner Rechtsanwalt Friedrich Kurz geschickt haben. Ihrer Ansicht nach haben der hinter der deutschsprachigen Wikipedia stehende Wikimedia-Verein sowie die für die internationale Website verantwortliche Wikimedia Foundation in Florida kein Recht, den vollen Namen ihres Sohnes zu publizieren. In juristischen Kommentaren wird dies allerdings auch anders gesehen, da Tron beziehungsweise der hinter dem Pseudonym stehende Hacker eine absolute Person der Zeitgeschichte sei.

Die Eltern sind der Ansicht, die Medien hätten sich während des gesamten Presserummels rund um die Umstände von Trons Tod fast alle an die Norm gehalten, nur das Pseudonym oder "Boris F." zu schreiben. Besonders beunruhigt die Eltern, dass sich die Menschen "in zehn Jahren" ihre Informationen weniger aus Zeitungen als vielmehr aus Artikelsammlungen wie der Wikipedia besorgen und auf eine "neutrale" Darstellung setzen würden. Allenfalls das Fernsehen würde die "Medienmacht" der Enzyklopädie noch übertreffen, schreiben sie. Daher sei es unverständlich, wieso sich die Wikipedianer nicht an die üblichen Presse-Spielregeln halten wollten.

In dem weit beachteten Rechtsstreit steht am morgigen Dienstag eine Anhörung beider Seiten beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg an. Es gibt inzwischen einen Beschluss und eine einstweilige Verfügung der Justizbehörde gegen Wikimedia, die unter anderem bereits eine kurzfristige Sperre einer Umleitung von der Website des Vereins, Wikipedia.de, auf die eigentliche URL der deutschsprachigen Enzyklopädie (de.wikipedia.org) auslöste. Der dadurch ausgelöste Wirbel geht auf eine "raffinierte Fehlinformation der Presse durch Wikimedia in Berlin" zurück, sind die Eltern überzeugt. Dem Verein sei es in der Verwirrung über die Domains gelungen, lautet ihre Beschwerde, "einigen deutschen Journalisten weis zu machen", dass auf Grund einer einstweiligen Verfügung die deutsche Wikipedia oder der deutsche Zugang zu ihr komplett gesperrt worden seien. Dabei sei allein die Weiterleitung bis zu einer Namenskürzung verboten worden.

Die Gegenseite hat in Form des Berliner Rechtsanwalts Thorsten Feldmann von der Kanzlei Jaschinski, Biere und Brexl den Eltern inzwischen einen Vergleich angeboten, der heise online vorliegt. Demnach steht es "nicht in der Macht" von Wikimedia Deutschland, ob der Klarname Trons in dem freien Nachschlagewerk genannt wird. Das Wesen von Wikipedia bestehe darin, dass die Inhalte von den Nutzern erstellt würden und keine "hoheitliche" Vorgabenstruktur für die Artikelerstellung herrsche. Eine Unterlassungserklärung komme damit nicht in Frage. Generell habe ein "quasihoheitliches Eingreifen" nur zu erfolgen, wenn es sich um juristisch unzulässige Inhalte handle. Diese Grenze sei bei der Namensnennung nicht erreicht.

Um den Streit aber endgültig abzuschließen, will Wikimedia Deutschland die Auseinandersetzung bedauern und "für eine gewisse Zeit" unter Wikipedia.de eine Erklärung bereithalten, die an die "ethisch-moralische Verantwortung der Wikipedia-Community" appelliert. Feldmann macht hier den Vorschlag, dass trotz der beibehaltenen Rechtsauffassung eine Klarstellung erfolgen solle. Sie könnte etwa betonen, "dass nicht alles, was man veröffentlichen darf, auch veröffentlicht werden muss." Wikimedia will gleichzeitig zur "Besonnenheit" aufrufen und insbesondere "bei der Nennung von Namen von Betroffenen" um Zurückhaltung bitten. Eine "sorgfältige Abwägung aller juristischen und ethischen Aspekte" vorab sei unerlässlich. Versuche, die Anführung realer Namen für einen vermeintlichen Kampf um die Informationsfreiheit zu gebrauchen, lehne der Verein "strikt ab". Auch soll eine Diskussion in der Autorengemeinde angeregt werden, "die zur Schaffung einer Policy für vergleichbare Fälle – ähnlich dem Pressekodex – führen kann". Den Eltern geht diese Formulierung aber nicht weit genug, solange der Klarname Trons nicht gekürzt wird. (Stefan Krempl) / (jk)