Europol sammelt Daten über Rocker

Ein geheimes Strategiepapier erlaubt Einblicke in die "Operation Monitor" gegen Rockerkriminalität, in deren Rahmen die Behörden zahlreiche Daten über das Rockermilieu erheben. Mit teilweise fragwürdigen Methoden.

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Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

"Operation Monitor" nennt sich die Ende der 1990er Jahre ins Leben gerufene gemeinsame Strategie von EU-Mitgliedstaaten, Europol und Interpol gegen als kriminell betrachtete Motorradfahrergruppen. Das Ziel: "Sich ein Bild über die Rauschgiftverbrechen zu machen, die mit den kriminellen Motorradbanden (Outlaw Motorcycle Gangs, OMCGs) in Verbindung gebracht werden können", wie es in einem vorläufigen Europol-Bericht über die Operation heißt, der etwa 220 Seiten umfasst. Das geheime Papier gestattet einen interessanten Einblick in die Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei Europol und deren Umgang mit Daten.

In anderen europäischen Ländern wie etwa Österreich berichten Behörden recht offen über diese "Operation Monitor", in Deutschland erfährt man davon höchstens mal aus Interviews mit Rockern. Dabei ist die Operation Monitor in wenigstens zweierlei Hinsicht heikel: So scheint hier versucht worden zu sein, datenschutzrechtliche Bestimmungen zu umgehen. Zudem zeigt eine stichprobenartige Überprüfung der genutzten Quellen Widersprüche und Lücken. Wenn es um die Bekämpfung von Rockerkriminalität geht, stört das derzeit wohl nur die wenigsten Bürger. Aber erstens zeigen sich Souveränität und Stabilität eines Rechtsstaates auch und gerade im Umgang mit als kriminell betrachteten Gruppen. Zweitens wirft dies Fragen auf, etwa, ob solches Vorgehen bei Europol Methode hat.

Die Operation Monitor hat offenbar Einfluss auf das Vorgehen deutscher Behörden gegen Rockergruppen. Seit etwa zwei Jahren werden in Deutschland zunehmend Ortsgruppen ("Charter" oder "Chapter") von Motorradclubs, vor allem der Hells Angels, verboten. Dahinter dürfte unter anderem ein deutsches Konzept zur Bekämpfung der Rockerkriminalität aus dem Jahr 2010 stehen: der "Bericht der Bund-Länder-Projektgruppe des UA FEK 'Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität – Rahmenkonzeption' [BLPG BR-RK]". Das als "Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch" gekennzeichnete Konzept aus dem rheinland-pfälzischen Innenministerium wurde unter anderem auf einer Website der Hells Angels und der US-Whistleblower-Seite Cryptome veröffentlicht (PDF-Datei). In diesem deutschen Geheimpapier wird mehrfach (S. 40, 53) auf ein Analysis Work File "Monitor" beziehungsweise die Operation Monitor Bezug genommen.

Im Vorwort des Europol-Berichts mit dem umständlichen Titel "Vorläufiger strategischer Bericht über kriminelle Motorradbanden (OMCGs) in Europa 'Operation Monitor'" wird die Entstehung des Projekts beschrieben: Demnach trafen sich am 24. September 1996 die Leiter der nationalen Europol-Einheiten von Europol (Heads of Europol National Units, HENU). Der Leiter der dänischen Einheit schlug vor, dass die Europol-Drogeneinheit (EDE) das Projekt dabei unterstützen solle, sich ein Bild über die Rauschgiftverbrechen zu machen, die mit kriminellen Motorradbanden in Verbindung gebracht werden können.

Drei Jahre später wurde das Ganze ganz offiziell: Am "07.09.1999 [wurde] bei Europol zur Bekämpfung der kriminellen Aktivitäten von Rockergruppen, insbesondere des HAMC [Hells Angels Motorcycle Club], des BMC [Bandidos Motorcycle Club] und des OMC [Outlaw Motorcycle Club] sowie ihrer Supporterclubs- [sic] und -gruppierungen das Analysis Work File (AWF) "Monitor" eingerichtet, heißt es in dem rheinland-pfälzischen Geheimpapier auf Seite 53. Demnach funkgiert das Bundeskriminalamt (BKA) als "National Expert AWF ´Monitor´(Europol)" für Deutschland.

Dass es mit der Umsetzung ein paar Jahre gedauert hat dürfte daran liegen, dass Europol seine Tätigkeit erst am 1. Juli 1999 nach der Ratifizierung des Europol-Übereinkommens durch alle EU-Mitgliedstaaten vollständig aufnehmen konnte und am 1. Januar 2010, nach der Verabschiedung des Ratsbeschlusses zu Europol, eine vollständige EU-Agentur wurde, mit einem neuen Rechtsrahmen und einem erweiterten Mandat. Jetzt ist Europol "die Strafverfolgungsbehörde der Europäischen Union, die den Austausch und die Analyse kriminalpolizeilicher Erkenntnisse abwickelt."

Schon beim ersten Treffen im Jahr 1996 hatten die HENU-Leiter beschlossen, auch die drei nicht zur EU gehörenden Länder Norwegen, Schweiz und Liechtenstein zur Teilnahme an dem Projekt einzuladen. An dem Projekt beteiligen sich laut dem rheinland-pfälzischen Geheimkonzept inzwischen neben Deutschland zwölf weitere EU-Staaten: Belgien, Tschechien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Spanien, Schweden, Großbritannien. Dazu gesellen sich die "assoziierten Drittstaaten" Norwegen, Island, Kanada, Australien und die USA mit ihren Bundesbehörden FBI und ATF. Die internationale Polizeiorganisation Interpol, die bei HENU-Zusammenkünften den Status einen Beobachters hat, bot Informationen aus dem eigenen "Project Rockers" an.

Die HENU-Leiter nahmen das Projekt 1996 einstimmig an und beschlossen, "daß Dänemark dabei das federführende Land sein soll, da der EDE bisher noch keine Genehmigung zur Speicherung von identifizierbaren persönlichen Daten erteilt worden ist" (Monitor, S. 5). Diese Begründung für die Federführung Dänemarks ergibt nur dann einen Sinn, wenn in Dänemark identifizierbare persönliche Daten gespeichert werden sollten. Wenn dies zutrifft, dann wären datenschutzrechtliche Bestimmungen durch einen organisatorischen Trick umgangen worden.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, welche Daten tatsächlich in Dänemark gesammelt werden sollten: Der Anhang A beinhaltet zwei Fragebögen für die zuständigen nationalen Einheiten in den teilnehmenden Ländern. Diese Fragebögen umfassen insgesamt 13 Seiten. Fragebogen 1 (drei Seiten) bezieht sich ausdrücklich auf Hells Angels und Bandidos. Gefragt wird nach Ortsgruppen, Unterstützern und Mitgliedern. Betreffend der Mitglieder wird unter anderem (!) erfragt: Namen, Stellung in der Gruppe, Adresse, Telefonnummern, Funkrufempfänger, GSM, Fax, PC-Verbindung, Internetadresse, Pass, Familienstand, Name der Lebensgefährtin oder Ehefrau, Familienmitglieder mit Verbindungen zum OMCG-Umfeld, Bankkonten, Kreditkarten, Banksafes, Registrierung bei Firmen oder Geschäften, auch im Ausland, Reisetätigkeit, angemeldete Fahrzeuge... Der zweite Fragebogen (zehn Seiten) fragt nach Rauschgift- und anderen Delikten, aber auch nach vielen anderen Themen, wie etwa legalen Aktivitäten im Bereich von Vermögenswerten, Tätowiergeschäften, Schuldeneintreibung, Personenschutz, Fitnesszentren, Motorradgeschäften und anderem.

Angesichts dieser Fragen und der Tatsache, dass nur dreieinhalb der insgesamt 13 Seiten der beiden Fragebögen Rauschgiftdelikte betreffen, stellt sich die Frage, ob es bei der Operation Monitor wirklich um die Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität geht, oder nicht eher um die Anlage einer Bürgerdatenbank mit Schwerpunkt Rocker.

Die empirische Basis für die Operation Monitor kann einen flüchtigen Leser leicht in die Irre leiten: Einerseits fehlt eine gründliche Auseinandersetzung der einzelnen Teilnehmerstaaten mit den "eigenen" Rockern. Andererseits fußen die Informationen ausgerechnet zum Thema Rockerkriminalität vor allem aus Material aus Dänemark, Skandinavien, den USA und Kanada. Als Grundlage für ein europäisches Strategieprojekt ist das nicht gerade ideal. Es fehlt eine überzeugende Begründung für die Übertragbarkeit der Erkenntnisse von einem Kontinent auf den anderen, von den nordeuropäischen auf die mitteleuropäischen Staaten.

Die Informationen für Monitor I, das beschreibende Strategieprojekt, stammen laut Bericht aus mehreren Quellen (Monitor ab S. 6): So wurden Ende November 1996 die beiden Fragebögen zusammen mit einem Schreiben der dänischen HENU an die damals noch 15 Mitgliedstaaten der EU sowie an Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein geschickt. Außerdem bildeten zwei Analytiker der EDE und Beamte der dänischen Europol-Einheit eine Projektgruppe, die folgende Stellen besuchte und dort Informationen sammelte: in Lyon die Zentrale der ICPO Interpol, in den USA das Federal Bureau of Investigation (FBI) sowie das Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms (ATF), und in Kanada die Royal Canadian Mounted Police (RCMP) sowie den Central Intelligence Service (CISC).

Neben den beiden Fragebögen und den genannten bereisten Informationsquellen basieren Bericht und Schlussfolgerungen auf Informationen der US-Bundesbehörde Drug Enforcement Administration (DEA), einem skandinavischen und einem dänischen Rocker-Projekt, Protokollen von Gerichtsakten, einem "Spezialbericht VIII" der holländischen Ermittlungskommissionen und weiteren verfügbaren Quellen. Dazu kommen "Informationen nichtdokumentierbarer Art", deren Stichhaltigkeit schwer einzuschätzen sei, was man aber berücksichtigt habe. Genauer wird der Bericht nicht, möglicherweise handelt es sich um die Aussagen von Rauschgiftfahndern.

Die Einschätzung der Kriminalität besagter Rockergruppen fußt dennoch auf dürrem Material. Zum Beispiel haben viele Länder "auf die übermittelten Fragebögen weniger umfassende Antwortschreiben zurückgeschickt" (Monitor, S. 7): Fragebogen 1 sei immerhin von fast allen Ländern beantwortet, aber Fragebogen 2 "nur von sehr wenigen Ländern angemessen beantwortet worden" (Monitor, S. 10). Kurz: Europol kennt jetzt wohl private Umstände, Arbeitgeber und Kontodaten von Mitgliedern der Hells Angels und Bandidos sowie ihre Partnerinnen (Fragebogen 1), nicht aber kriminalistische Auswertungen in Hinblick auf Rauschgiftdelikte (Fragebogen 2). Einen wesentlichen Bestandteil des Berichts bildeten ohnehin "teilweise Informationen aus den USA und teilweise aus Kanada", außerdem den skandinavischen Ländern (Monitor, S. 10).

Ein Mitgliederprofil habe man also nicht erstellen können, heißt es in dem Bericht (S. 66), allerdings werden Anzahl und Alter der Mitglieder dargestellt. Im Kapitel 4.3. "Verurteilungen" heißt es: "Eine Analyse über Verurteilungen von Mitgliedern der Hells Angels und Bandidos in Dänemark ist erarbeitet worden. Es ist nicht möglich gewesen, eine entsprechende Einschätzung der Kriminalitätsrate zu kriminellen Mororradbanden (OMCGs) in anderen Mitgliedstaaten vorzunehmen, da keine Daten zur Verfügung standen. Angemerkt werden sollte dabei jedoch, daß Deutschland und Finnland angegeben haben, daß es den Polizeibehörden nicht erlaubt ist, Informationen über Vorstrafen der Hells Angels und Bandidos Mitglieder offenzulegen" (Monitor, S. 69).

Eine Seite später steht eine Grafik mit der Verbrechensrate (Mord, Gewalt, Einbruch, Diebstahl, schwere / einfache Rauschgiftdelikte, Waffen) der Hells-Angels-Mitglieder vor dem 31. Dezember 1989 bzw. nach dem 1. Januar 1990. Wahrscheinlich handelt es sich Daten von US-amerikanischen, kanadischen und skandinavischen Hells Angels. Dies ist nur aus dem Fließtext rückschließbar, es steht nicht neben der Grafik, auch nicht, wie viele Menschen die Datenbasis bilden. Trotzdem wird geschlussfolgert: "Ganz gleich [sic] welche Verbrechensart hier hervorgehoben wird, die Mitglieder der kriminellen Motorradbanden (OMCGs) sind im Vergleich zur normalen Bevölkerung stark übervertreten" (Monitor, S. 70).

Dies ist keine ganz korrekte Argumentation, nicht nur wegen der unklaren Herkunft und Basis der Daten, sondern auch wegen des Vergleichs zur "normalen Bevölkerung": Schließlich ist auch die Kriminalitätsrate bei Männern höher als bei Frauen, bei Jungen höher als bei Alten. Trotzdem kommt niemand auf den Gedanken, Männer oder junge Leute deswegen zu kriminalisieren – oder als nicht normal zu betrachten. Das soll nicht ausschließen, dass es unter Rockern tatsächlich eine erhöhte Kriminalitätsrate geben kann, aber es fehlt hier eine korrekt erhobene empirische Basis für ihren Nachweis.

Aus diesem einen Bericht kann man nicht schließen, dass Handeln auf dürrer oder nicht korrekt erhobener Datenbasis bei Europol Methode hat. Aber es scheint immerhin möglich zu sein. Dies führt zu der Frage, wie Vorgehen und Existenz von Europol überhaupt demokratisch zu legitimieren sind - wenn keine unabhängige Institution ihre Operationen und Berichte systematisch und wissenschaftlich zu überprüfen scheint.

Siehe dazu auch:

(vbr)