Datenschutz auf der schiefen Ebene

Der Bundesdatenschutzbeauftragte nutzt die Vorlage seines Tätigkeitsberichts zur Kritik an der Bundesregierung.

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Von
  • Richard Sietmann

Anlässlich der Vorlage seines 21. Tätigkeitsberichtes (PDF-Datei) hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Peter Schaar, heute erneut Kritik an an den Plänen des Bundesinnenministeriums zur Legalisierung heimlicher Online-Durchsuchungen von Computern geübt. "Die Diskussion findet in einem weitgehend trüben Umfeld statt", kritisierte er die politischen Verfechter, die es bisher unterlassen hätten, klar zu sagen, worum es ihnen wirklich geht, für welche Art von Ausspähung der Privat-PCs sie tatsächlich die gesetzlichen Grundlagen schaffen wollen. Angesichts der Schwere derartiger Eingriffe in den Kernbereich der Privatsphäre kann sich Schaar "nur schwer vorstellen, wie hier eine gesetzliche Norm formuliert werden könnte"; er forderte, das Projekt angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken und den aus seiner Sicht unlösbaren praktischen Fragen aufzugeben.

Für Schaar sind die geplanten Online-Durchsuchungen nur eines von zahlreichen Beispielen, an denen sich zeige, wie sehr der Datenschutz in den vergangenen zwei Jahren – dem Zeitraum seines Tätigkeitsberichtes – auf eine abschüssige Ebene geraten ist. Der Staat müsse schon für einen umfassenden Schutz der Bürger sorgen, meinte Schaar, das gelte "aber nicht nur für den Schutz vor Terrorismus und Kriminalität", sondern auch für den Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Bürger. "Diesen Schutz hat die Politik sträflich vernachlässigt."

So entstünde durch den vorgesehenen Online-Zugriff der Polizei auf die digitalisierten Passbilder der biometrischen Reisepässe faktisch eine virtuelle Referenzdatei biometrischer Daten, die der Bundestag ausdrücklich hatte verhindern wollen, und die "Volks-Daktyloskopie" durch "die Aufnahme der Fingerabdrücke in die Pässe ist bis heute nicht wirklich begründet worden". Dem Konzept der Mautgebühren habe der Gesetzgeber seinerzeit nur unter der Voraussetzung der strikten Zweckbindung der erhobenen Daten für die Gebührenerfassung zugestimmt, nun sehe ein erster Entwurf der Bundesregierung vor, die Verarbeitung und Nutzung dieser Daten auch zur Verfolgung von "Straftaten von erheblicher Bedeutung oder zur Gefahrenabwehr zuzulassen.

Die gleiche Tendenz zur Lockerung der Zweckbindung und Ausweitung auf andere Anwendungen sei bei der bevorstehenden Vorratsdatenspeicherung absehbar, die Schaar als "Dammbruch zu Lasten des Datenschutzes" bezeichnete. Die Rufe nach einer Nutzung der Verkehrsdaten zur Ermittlung von Urheberrechtsverletzern in Tauschbörsen zeigten bereits den "Öl-Fleck-Effekt", der von solchen Sammlungen sensibler personenbezogener Daten ganz überwiegend unverdächtiger Personen ausgehe. Die Preisgabe für zivilrechtliche Zwecke würde eine Entwicklung einleiten, an deren Ende diese Daten für kaum noch zu übersehende Zwecke und Empfänger zur Verfügung stehen könnten. "Wir brauchen Ölsperren", blieb Schaar mit seiner Forderung nach strikter Zweckbindung im Bild.

Die Technik entwickle sich "mit atemberaubender Geschwindigkeit" immer weiter, technisch sei "eine Totalüberwachung heute möglich", doch das Datenschutzrecht habe nicht mit dieser Entwicklung mitgehalten. "Die dringend erforderliche Modernisierung des Datenschutzrechts und das Ausführungsgesetz zum Datenschutzaudit müssen endlich in Angriff genommen werden", forderte Schaar. Beides hatte schon im Anschluss an die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes an die EG-Datenschutzrichtlinie im Jahr 2001 geregelt werden sollen, war dann aber auf der Strecke geblieben. Auch gesetzliche Regelungen zu Genomanalysen und zum Arbeitnehmerdatenschutz stünden seit langem aus, obwohl der Bundestag die Bundesregierung wiederholt und einstimmig aufgefordert haben, hierzu Entwürfe vorzulegen. Regelungen zum Schutz der Bürger vor der umfassenden Profilbildung in der Wirtschaft – etwa beim Scoring oder zentralen Auskunftssystemen – seien überfällig. "Wir erleben", betonte Schaar", "gerade in diesem Bereich heute die Entwicklung, die das Bundesverfassungsgericht mit seinem Volkszählungsurteil verhindern wollte, nämlich den gläsernen Bürger, der in seinem Verhalten für Dritte berechenbar und manipulierbar wird und damit in seiner Handlungsfreiheit und in der freien Entwicklung seiner Persönlichkeit eingeschränkt ist".

Die Erfahrungen mit dem am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Informationsfreiheitsgesetz wurden in dem jetzt vorgelegten Tätigkeitsbericht noch ausgeklammert, hierzu soll Anfang kommenden Jahres ein gesonderter Bericht vorgelegt werden. Für diesen Teil seiner Arbeit zog Schaar heute lediglich eine vorläufige Bilanz. "Im Grundsatz hat sich das Gesetz bewährt", meinte er. Nur n einigen Punkten bestünde ein Nachbesserungsbedarf, "speziell bei dem Bereich der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ja stärker geschützt sind als personenbezogene Daten". (Richard Sietmann) / (jk)