Mit Schnappschüssen durch die Große Firewall

Über eine Eingabemaske des Projekts www.picidae.net können Internetnutzer Webseiten einsehen, die ihnen sonst die Zensur vorenthält.

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Das Kunstprojekt www.picidae.net verfolgt neue Ansätze zur Umgehung von Zensur. Basierend darauf, dass die chinesischen Inhaltswächter ("Große Firewall") das Aufrufen zensierter Webseiten innerhalb Chinas anhand von Worten oder der URL verhindern, wandelt das Projekt die Websites in Bilder um. Wer also in China über picidae.net eine dort zensierte Website aufruft, bekommt die kompletten Inhalte von einem außerhalb des Landes stehenden "pici-Server" als Screenshot geliefert – inklusive Verlinkungen und Formularfelder. Auch die verlinkten Inhalte werden als Grafiken gezeigt. Damit auch die eigentlichen URLs von Zensurprogrammen nicht erkannt werden, wird die Eingabe vor dem Übertragen eines Formulars mittels Javascript kodiert.

Das Bild dient gewissermaßen als digitale Verschlüsselung, denn es könne von Zensurprogrammen nicht nach unerlaubten Schlüsselworten durchsucht werden, schreiben die Projektbetreiber. Die in Berlin und Zürich lebenden Künstler Christoph Wachter und Mathias Jud reisten im Frühjahr 2007 zum Selbstversuch nach China oder, wie sie es beschreiben, "ans Ende des Internets". In den Internet-Cafés dort müssen sich die Besucher registrieren und überwachen lassen. Wachter und Jud konnten dort nach eigenen Angaben gesperrte Seiten zu Menschenrecht, Demokratie, Tibet oder dem Tiananmen-Massaker einsehen. Ihr Projekt ist aber nicht ausschließlich gegen die Zensur in China gedacht, sondern auch für andere Länder. Nicht nur in Kuba, Iran, Tunesien und Saudi-Arabien, auch in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gebe es unterdrückte Internetseiten.

Die Zugänge zu picidae und jedem Server sollen unabhängig und ohne Namensnennungen laufen, damit die Zensur und das Abschalten nicht greifen. Daher gibt es keine zentrale Serverliste. Das Kunstprojekt sucht Unterstützung in vielfacher Form: So können Interessierte selbst einen pici-Server oder pici-Proxyserver betreiben, an der Weiterentwicklung der Software arbeiten oder das Projekt in eine andere Sprache übersetzen. Am 6. September soll picidae.net offiziell vorgestellt werden, im Internet erreichbar ist es jetzt schon. (anw)