Sehrinde in Software

Das Start-up Vicarious arbeitet an einem neuartigen neuronalen Netz, das die visuelle Wahrnehmung des Menschen nachahmen soll.

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Von
  • Rachel Metz

Das Start-up Vicarious arbeitet an einem neuartigen neuronalen Netz, das die visuelle Wahrnehmung des Menschen nachahmen soll.

Über die Augen nimmt das Gehirn die Welt wahr, lernt, Objekte, andere Personen und Orte zu erkennen und sich neue Dinge vorzustellen. Das Start-up Vicarious glaubt nun, dass es Computern ein ähnliches Wahrnehmungsmodell beibringen kann. Dazu arbeitet die US-Firma an einer Software, die bildliche Informationen ähnlich verarbeiten kann wie die Sehrinde im Gehirn.

Vicarious will dazu Erfahrungen aus den Neuro- und den Computerwissenschaften kombinieren. Ergebnis soll ein visuelles Erkennungssystem sein, das vom visuellen Cortex inspiriert ist, jenem Bereich des Gehirns, der die Bildverarbeitung ĂĽbernimmt.

Die Idee eines neuronalen Netzwerkes, einer Software, die nachbildet, wie das Gehirn arbeitet, indem kĂĽnstliche Nervenzellen miteinander verbunden werden, wird bereits seit Jahrzehnten verfolgt. Vicarious will sie nun deutlich verfeinert und verbessert haben.

Mitbegründer Dileep George, der zuvor Technikchef bei der KI-Firma Numenta war, meint, dass die Konkurrenten dazu tendierten, ihre neuronalen Netzwerke auf dem sogenannten "Neocognitron"-Modell aufzubauen. Dieses wurde bereits 1980 entwickelt und basiert auf einem Modell des visuellen Cortex, das schon Jahrzehnte zuvor entstanden war. Solche Systeme wurden typischerweise mit zufälligen, statischen Bildern trainiert. Vicarious nutzt einen neueren Ansatz, bei dem ein Videostrom zum Training verwendet wird, der sich mit der Zeit verändert. "Wir gehen zurück an den Anfang und fragen: Was stimmt nicht an der Architektur, die die Leute bislang aufgebaut haben?", so George.

Das Start-up hofft, das Bilderkennungssystem in den nächsten Jahren ausentwickeln und kommerzialisieren zu können. Vicarious-Mitbegründer D. Scott Phoenix glaubt, dass die Technik viele Anwendungsbereiche hat – ein Computer könnte Diagnosebilder analysieren, um zu bestimmen, ob er es mit einem Tumor zu tun hat. Oder ein Smartphone ermittelt aus dem Schnappschuss einer Mahlzeit, wie viele Kalorien sie enthält. "Systeme mit visueller Wahrnehmung, die gut funktionieren, könnten so ziemlich alles verändern, was man tut."

Die Vicarious-Software lernt, indem sie eine Serie von Bildern betrachtet und dann Verknüpfungen herstellt. Das bedeutet, dass sie clever genug ist, ein Objekt zu erkennen, bei dem ein Teil der grundlegenden Informationen fehlen. Ein Arm wird beispielsweise auch dann erkannt, wenn er bemalt wurde oder eine Uhr trägt.

Genaue Details zur Technologie hat Vicarious allerdings noch nicht verraten. Die Firma, die 2010 gegrĂĽndet wurde, hat aber bereits groĂźes Interesse bei Investoren geweckt. Im August warb man 15 Millionen Dollar ein, darunter auch vom Facebook-MitbegrĂĽnder Dustin Moskovitz.

Andrew Ng, Direktor des Stanford Artificial Intelligence Laboratory, meint, die Herausforderung sei groß, genügend Rechenleistung aufzubringen, um akkurate Simulationen neuronaler Prozesse zu entwickeln. Der Forscher arbeitete kürzlich an einem Projekt bei Google mit, bei dem eine Software zufällige YouTube-Bilder eingelesen hatte. Nach einer Woche lernte das System, Katzen zu erkennen, obwohl es vorher keine entsprechende Trainingsphase gab. Dafür waren allerdings 16.000 Prozessoren in einem riesigen neuronalen Netzwerk notwendig.

Alan Peters, Dozent für Elektroingenieurwesen an der Vanderbilt University und Technikchef bei Universal Robotics, arbeitet ebenfalls an Bildklassifikationsverfahren auf KI-Basis. Er ist skeptisch, dass sich der visuelle Cortex nachbilden lässt, ohne dass auch gleichzeitig ein System entwickelt wird, das einen frei beweglichen Körper enthält, der sich in der Umwelt umsehen kann. Grundsätzlich sei die Idee aber interessant. "Es ist nützlich, diese Probleme auf unterschiedliche Arten zu lösen."

Stanford-Mann Ng glaubt zwar auch nicht, dass die Technik für einen künstlichen visuellen Cortex bereits verfügbar ist, glaubt aber weiter an einen schnell Fortschritt. "Wenn das Verfahren funktioniert, hätte das einen großen wirtschaftlichen Wert." (bsc)