Innenminister verleihen dem Bundestrojaner noch keine Flügel

Politiker von Union und SPD konnten bei einer Sonderkonferenz keine Einigung im Dauerstreit um heimliche Online-Durchsuchungen erzielen, doch die Widerstände bei den Sozialdemokraten bröckeln.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 349 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.

Die Innenminister von Bund und Ländern konnten bei ihrer Sonderkonferenz nach den Verhaftungen dreier Terrorverdächtiger keine Einigung im Dauerstreit um heimliche Online-Durchsuchungen erzielen. Die Widersprüche zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seinen SPD-Kollegen in den Ländern hätten in dieser Frage nicht "aufgelöst" werden können, erklärte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD), nach dem Treffen in Berlin. Einer Meinung waren die Minister dagegen bei der Forderung, den Besuch von Terror-Lagern künftig unter Strafe stellen zu lassen. Entsprechende "Vorbereitungshandlungen" für mögliche Terroranschläge, zu denen die Politiker auch die Verbreitung von Bombenbau-Anleitungen oder die Werbung für terroristische Aktivitäten im Internet zählen, müssten künftig geahndet werden. Die Innenminister begrüßten, dass die Bundesregierung bereits entsprechende Schritte eingeleitet habe. Entsprechende Regelungen seien aber "noch nicht abschließend definiert".

Körting hatte vorab gegenüber der Berliner Zeitung erklärt, "aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken" gegen die von Schäuble (CDU) geplante Ausforschung "informationstechnischer Systeme" zu haben. Seines Erachtens dürfen die Ermittler aber auch jetzt schon im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung "Computer anzapfen und prüfen, welche Kommunikation es gibt". Die Wirkung verdeckter Online-Durchsuchungen werde überschätzt, zumal diese technisch schwierig durchzuführen seien. "Unbekannte Programme oder Mails lädt sich doch nur ein DAU, ein Dümmster Anzunehmende User, herunter." Außerdem würden Terroristen eher selten von zu Hause aus am Rechner arbeiten, sondern deutlich schlechter zu überwachende Laptops oder öffentlich zugängliche PCs nutzen. Allgemein glaubt Körting nicht, dass durch die nach dem 11. September 2001 immer wieder verschärften Sicherheitsgesetze "unsere freiheitliche Grundordnung gefährdet ist".

Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl-Peter Bruch sagte im RBB vor der Sitzung, es sollte nach Ansicht der Mehrheit seiner Kollegen künftig die Möglichkeit geben, "informationstechnische Systeme" auszuspähen. Die so genannte Online-Durchsuchung "wird uns zwar nur in wenigen Fällen helfen", drückte der SPD-Politker Skepsis gegenüber der umkämpften Maßnahme aus. "Aber sie wird kommen". Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck sagte, die Sozialdemokraten seien nicht generell gegen Online-Razzien. "Aber zuerst müssen die rechtsstaatlichen Bedingungen festgelegt werden." Klar sei, dass die Grundrechte nicht zu Gunsten von Befugnissen des Bundeskriminalamtes ausgehöhlt werden. Die SPD sei nicht bereit, Schäuble einen Blanko-Scheck auszustellen.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will sich bei dem Streitthema ebenfalls nicht zur Eile drängen lassen. Die Sache sei technisch und rechtlich sehr komplex, meinte die SPD-Politikerin in der ARD. Sie lehne die Pläne trotz ihrer wiederholten Kritik aber nicht grundsätzlich ab. Ein möglicher Gewinn an Sicherheit durch die Online-Durchsuchungen müsse im Verhältnis stehen zu den Eingriffen in die Bürgerrechte. Von einem Gesinnungswandel nach den Sicherheitsbehörden zufolge vereitelten Anschlägen will die Ministerin nicht sprechen: "Es gab nie ein klares Nein ­ das war schon immer meine Position." Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger deutete die Kompromissbereitschaft der Ministerin dagegen als "Umkippen". Zypries sei bewusst, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung kaum gesetzgeberischen Spielraum lasse. Die Justizministerin selbst mahnte erneut dazu, vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zu der umstrittenen Maßnahme nicht "hoppla hopp" noch eine gesetzliche Regelung zu verabschieden.

Seine ablehnende Haltung zu Online-Razzien bekräftigte Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP). Die Diskussion werde weitab von der Wirklichkeit geführt. "Online-Durchsuchungen bringen gar nichts", betonte der Minister. Terroristen würden Callshops und Internetcafés nutzen – das habe der aktuelle Fall gezeigt. Es ärgert den Liberalen daher, "wenn plötzlich alle so tun, als könnten unsere Ermittler diese Kommunikation und Internet-Nutzung nicht überwachen. Das ist einfach falsch".

Dem Protest von Branchenvereinigungen gegen heimliche Online-Durchsuchungen hat sich derweil auch der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco angeschlossen, der Internetprovider und ihre Kunden "massiv betroffen" sieht. Die geplanten, prinzipiell auch Server einschließenden Online-Razzien seien "technisch nichts anderes als erfolgreiches Hacking", moniert eco-Vorstandsmitglied Klaus Landefeld. Werde der Provider eines Verdächtigen derart durchsucht, habe er einen erheblichen Image-Schaden zu befürchten. Es wäre leichtfertig und verantwortungslos, die Sicherheit der "Nervenfasern der Informationsgesellschaft" und das Vertrauen der Nutzer "für die angeblich nur zehn geplanten Online-Durchsuchungen im Jahr aufs Spiel zu setzen". Landefeld appellierte daher an die Innenminister, ihre Position noch einmal zu überdenken.

Der Direktor des Saarländischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Albert, hat sich dagegen im Gespräch mit der Netzeitung für den Einsatz des so genannten Bundestrojaners ausgesprochen. Die Ermittlungen im Fall der Inhaftierten belegen ihm zufolge, "dass es Konfliktlagen gibt, in denen es ohne Online-Durchsuchung nicht geht". Die am Dienstag Festgenommenen stammten aus dem Saarland, Hessen und Baden-Württemberg. Anders als in diesen Bundesländern hat der Verfassungsschutz NRW bereits eine rechtliche Befugnis zum Ausspähen von Festplatten und anderer IT-Systeme, gegen die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig sind, das darüber am 10. Oktober verhandeln will.

Siehe dazu in Telepolis:

  • Feindstrafrecht, ein Gespräch mit Professor Roland Hefendehl vom Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Freiburg über die gefährlichen Tendenzen des Rechtsstaatsumbaus

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz am Montag vergangener Woche:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)