Autismus-Diagnose per Bluttest

Ein US-Unternehmen will ein einfaches Verfahren auf den Markt bringen, mit dem sich die meisten Formen der Entwicklungsstörung feststellen lassen.

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Von
  • Susan Young

Ein US-Unternehmen will ein einfaches Verfahren auf den Markt bringen, mit dem sich die meisten Formen der Entwicklungsstörung feststellen lassen.

Die amerikanische Pharmafirma SynapDX hofft, mit einem Bluttest Autismus bei Kindern künftig deutlich schneller diagnostizieren zu können. Wie Firmenchef Stanley Lapidus auf einer Expertenkonferenz sagte, werde man bald mit der Evaluierung des Diagnoseverfahrens beginnen, bei dem die Genaktivität untersucht wird.

Die Zahl autistischer Kinder steigt insbesondere in den Industrienationen. Die Erkrankung wird als eine ganze Reihe von Syndromen definiert, weil es zu verschiedenen Ausprägungen kommen kann. Die Symptome sind breit – von sozialen Auffälligkeiten über Zwänge bis hin zu schwerwiegenden Sprach- und Entwicklungsstörungen. Obwohl der Auslöser von Autismus noch nicht vollständig geklärt ist, sehen Forscher sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren als wahrscheinlich an.

Eine medikamentöse Behandlung existiert noch nicht, Verhaltenstherapie schlägt aber in rund 20 Prozent der Fälle an, wie SynapDX-Chef Lapidus sagt. Diese Therapieform ist aber vor allem dann besonders erfolgreich, wenn sie frühzeitig eingeschlagen wird. Das Problem: Die Diagnose benötigt oft Jahre. Nur 20 Prozent der betroffenen Kinder sind im Alter von drei Jahren bereits identifiziert. Dabei stützt man sich allein auf direkte Beobachtungen und die der Eltern. Im Durchschnitt haben amerikanische Eltern bereits im Alter von 19 Monaten erste Sorgen, dass ihr Kind betroffen sein könnte, erhalten die endgültige Diagnose aber erst, wenn das Kind viereinhalb Jahre alt ist. "Das ist eine sehr lange Reise, die die Prognose massiv beeinträchtigen kann", sagt Lapidus. "Jeder Monat und jedes Jahr, in dem das Kind nicht diagnostiziert wurde, verringert die Chancen, dass Verhaltenstherapie helfen kann."

Lapidus hofft, dass der SynapDX-Test helfen kann, die Diagnose früher zu stellen. Die Firma will demnächst eine Studie mit 600 Patienten beginnen, bei der der Bluttest und die aktuellen Diagnoseverfahren verglichen werden. Andere Forschergruppen arbeiten ebenfalls an Tests für Autismus auf molekularer Grundlage. An der University of Melbourne soll beispielsweise ein Gendiagnoseverfahren das Asperger-Syndrom bei Menschen mit europäischem Hintergrund "mit mehr als 70 Prozent Genauigkeit" bestimmen können.

Der SynapDX-Test basiert auf wissenschaftlichen Arbeiten am Kinderkrankenhaus von Boston, sagt Lapidus. Die Forscher Isaac Kohane und Louis Kunkel hatten dort ein molekulares Profil von 245 Genen bestimmt, die bei Patienten mit Erkrankungen aus dem Autismusspektrum besonders reguliert werden. Ein Bluttest basierend auf dieser Arbeit hat Autismus schon mit einer Genauigkeit von 85 Prozent bestimmt, heißt es aus Boston. SynapDX hat außerdem Entwicklungen der Autismus-Forscherin Valerie Hu von der George Washington University lizenziert. Sie hatte Unterschiede in der Genaktivität bei der Patientengruppe festgestellt.

"Mindestens vier verschiedene Gruppen haben potenzielle Biomarker identifiziert", sagt Dan Geschwind, Direktor des Zentrums für Autismus-Forschung an der University of California, Los Angeles, der SynapDX berät. Keine dieser Gruppen – auch nicht seine eigene – habe allerdings bewiesen, dass diese Biomarker autistische von gesunden Kindern zweifelsfrei unterscheiden könnten. "Der Ansatz, auf Biomarker im Blut zu schauen, ist nicht ohne ein erhebliches Risiko. Es lohnt sich, danach zu suchen, aber es heißt nicht, dass wir auch etwas finden werden."

Der Wert solcher Biomarker läge in früheren Diagnosen. "Je früher man eingreifen kann, desto besser", meint auch Forscherin Hu. Aktuell setze man auf Verhaltenstherapie, doch ihr Ziel sei es, neben der besseren Diagnose auch neue Therapieansätze auf Basis der Genaktivität zu finden.

Da die Wissenschaft aber noch gar nicht zweifelsfrei verstanden hat, wie Autismus funktioniert, bleiben Tests wie der von SynapDX umstritten. "Eine molekulare Diagnose an diesem Punkt halte ich für mehr als verfrüht. Sie könnte sogar schlicht irreführend sein", kommentiert Jeanne Loring, Stammzellenforscherin am Scripps Institute, die die molekulare Basis von Autismus untersucht. "Autismus ist eine Spektrum-Erkrankung mit großer Variabilität." Aus diesem Grund müsse die Krankheit erst besser verstanden werden, bevor auch in der Diagnostik echte Fortschritte möglich seien. (bsc)