Krankheitsbild Internetsucht weiter umstritten

Nach einer US-Studie versuchen über 8 Prozent der Internetnutzer wie Alkoholiker ihre exzessive Nutzung zu verheimlichen, ebenso viele gehen online, um sich von schlechter Stimmung zu befreien.

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Von
  • Florian Rötzer

Ob es eine Internetsucht gibt oder nicht, ist weiterhin umstritten. Ab wann die Internetnutzung nicht nur exzessiv, sondern krankhaft ist, ist schwer zu entscheiden und individuell höchst unterschiedlich. Zudem neigen Fachleute wie Therapeuten gerne dazu, ihren Wirkungskreis auszudehnen und Normalisierungsprozesse zu fördern, was auch bedeutet, dass Abweichungen in Form von neuen Krankheitsbildern geschaffen werden. Prognosen von manchen Psychologen gehen dahin, dass möglicherweise bis zu 10 Prozent und mehr der Internetnutzer mitsamt möglicher Untergruppen – Computerspiel-, Chat- oder Online-Porno-Süchtige – aller Internetnutzer süchtig oder suchtgefährdet sein können.

Nach vorläufigen Ergebnissen einer Studie von Wissenschaftlern der School of Medicine der Stanford University soll einer von acht amerikanischen Internetnutzern zumindest ein Symptom von Internetsucht zeigen. Aufgrund einer repräsentativen Telefonumfrage bei über 2500 Erwachsenen habe sich gezeigt, dass eine kleine, aber wachsende Zahl von Internetnutzern ihre Ärzte aufgrund ihrer Abhängigkeit aufsuchen. Zwanghaft wie Süchtige müssen sie ihre Emails überprüfen, Blogeinträge machen oder Websites und Chaträume besuchen. Normalerweise sei der Internetsuchtgefährdete ein männlicher und weißer, gut gebildeter Single um die 30 Jahre, der durchschnittlich 30 Stunden wöchentlich im Internet verbringt, ohne wichtigen Arbeiten oder Aufgaben nachzugehen.

Pornographie oder Glücksspiele seien aber für eine Internetsuchtgefährdung nicht so maßgebend, wie dies oft in den Medien dargestellt wird. Umstritten sei weiter, so Elias Aboujaoude, Direktor der Impulse Control Disorder Clinic der University of Stanford, ob Internetsucht tatsächlich ein eigenständiges Krankheitsbild oder Ausdruck anderer Psychopathologien sei. Mittlerweile sei sie aber zum legitimen Gegenstand der klinischen Forschung und zu einem wirtschaftlichen Problem geworden, da ein guter Teil der nicht für die Arbeit wichtigen Internetnutzung am Arbeitsplatz stattfinde.

Nach der Umfrage waren 68,9 Prozent der Befragten regelmäßige Internetnutzer. 13,7 Prozent sagten, sie hätten Schwierigkeiten, einige Tage nacheinander nicht online zu sein. 12,4 Prozent würden länger online bleiben, als sie eigentlich beabsichtigt hatten. 8,7 Prozent räumten ein, dass sie versucht haben, ihre nicht mit Arbeit oder anderen Notwendigkeiten verbundene Internetnutzung vor ihrer Umgebung zu verbergen, fast ebenso viele benutzen das Internet, um Problemen auszuweichen oder schlechte Stimmung zu heben. 5,9 Prozent erklärten, dass ihre Beziehungen unter der exzessiven Internetnutzung gelitten haben.

Für Aboujaoude heißt dies, dass manche Menschen Probleme mit der Internetnutzung haben, aber es sei noch zu früh, daraus eine klinische Störung abzuleiten. Dazu müssten weitere Untersuchungen durchgeführt werden, bedenklich aber sei, dass relativ viele Menschen ihre Internetnutzung zu verbergen versuchen oder online gehen, um ihre Stimmung zu verbessern. Das hätten sie mit Alkoholikern gemeinsam. (fr)