Neuer ICANN-Chef kritisiert: Zu wenig Transparenz und Interessensausgleich

Der neue ICANN-Chef Fadi Chehadé geht mit seiner Organisation hart ins Gericht. Er will frischen Wind reinbringen und hat erst einmal seine Bürotür herausnehmen lassen, um Offenheit zu demonstrieren.

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Von
  • Monika Ermert

Der neue Chef der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), Fadi Chehadé, geht mit seiner Organisation hart ins Gericht. Sein Fazit aus einer intensiven Runde von Gesprächen lautet: Es gibt Mängel bei der Transparenz und Sichtbarkeit weltweit, beim Ausgleich der verschiedenen Interessen und bei der Zusammenarbeit zwischen Vorstand und hauptamtlichem Büro.

Chehadé sprach von einem dysfunktionalen Verhältnis und einer "regelrechten Kultur der Angst", für Fehler zur Verantwortung gezogen zu werden. Überdies habe die Organisation in den vergangenen Jahren zu stark auf den Geldfluss geschielt, sagte Chehadé bei einer vom brasilianischen Internet Steering Committee gesponserten Kongress der nicht-kommerziellen Nutzergruppen (NCUC) am Tag vor dem Start des 45. ICANN-Treffens in Toronto.

Viele der Fehlentwicklungen sind nach Ansicht des im Libanon aufgewachsenen US-Unternehmers aus der Geschichte der Organisation zu erklären. Die nach wie vor auffällige Dominanz englischer Muttersprachler sei durch die Entstehungsgeschichte der ICANN bedingt. Der Hang zur Überbetonung kommerzieller Aspekte rühre vom Bemühen, die Organisation auf sichere finanzielle Füße zu stellen.

Chehadé versprach Abhilfe: Am Montag werde er ein neues Strukturkonzept vorstellen, das jedermann erlauben soll, sich leichter über die Prozesse bei der ICANN zu informieren. Seine Bürotür habe er herausnehmen lassen, um seine Ansprechbarkeit zu demonstrieren. Chehadés Marschroute für den besseren Interessenausgleich stellt nicht nur die althergebrachte US-Dominanz in Frage, sondern auch Versuche des Regierungsbeirats, sich bei Entscheidungsprozessen im Konzert der "Stakeholder" das letzte Wort vorzubehalten. "Es darf keine einzelne Regierung über allen anderen stehen, die Regierungen stehen nicht über den anderen und keine Gruppe kann sich über alle anderen hinwegsetzen", so Chehadé.

Der neue ICANN-CEO versicherte beim NCUC-Kongress, er wolle gerade die Zivilgesellschaft, vertreten durch die At-Large-Gruppen bei der ICANN, viel mehr ansprechen. "Die ersten, die ich treffen will, wenn ich in irgendein Land komme, sind die Nutzervertreter (das At-large Advisory Committee der ICANN) – und zwar bevor ich die in den schicken Anzügen treffe." Damit lag Chehadé auch auf der Linie von Ron Deibert vom Citizen Lab, der davor warnte, die Absicherung des Netzes dem Staat – und damit dem Geheimdienst NSA oder dem Heimatschützern zu überlassen. Nur wenn die Zivilgesellschaft die Sache in die Hand nehme, könne sie den Ausverkauf der Bürgerrechte stoppen. (hob)