Österreichs Big Brother Awards: Ehrung für Jacob Appelbaum

Der Sprecher des Tor-Projekts, Jacob Appelbaum, hat den österreichischen Positivpreis "Defensor Libertatis" erhalten. Die Negativpreise der Big Brother Awards gingen an verschiedene Unternehmen und Politiker.

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Jacob Appelbaum ist der diesjährige Träger des Positivpreises "Defensor Libertatis" (Verteidiger der Freiheit), der alljährlich im Rahmen der österreichischen Big Brother Awards vergeben wird. Die Gala zur 14. Auflage war Donnerstagabend von Technik- und Ablauf-Pannen gezeichnet, zudem fielen einzelne Zuschauer aus dem Rahmen. Appelbaum freute sich trotzdem.

(Bild: bigbrotherawards.at)

Der Sprecher des Tor-Projekts, das verschlüsselte und weitgehend anonyme Internetnutzung ermöglicht, nahm die Auszeichnung stellvertretend für alle entgegen, die am Tor-Projekt mitarbeiten: "Von Julian Assange über die Mitarbeiter (des Kernteams) bis zu den Leuten im Publikum, die einen Tor-Node betreiben." Die Big Brother Awards inspirierten ihn seit Jahren; Überwachung sei ein weltweites Problem. "Die Lösung beginnt bei uns, wenn wir 'Nein' zu Leuten sagen, die unseren Ausweis sehen möchten", sagte der Sicherheitsexperte. "Nicht auf 'Stasibook' sein und sich gegen 'Menschendatenschmuggel' einsetzen" sei wichtig.

Da es der Veranstaltung an einem ein roten Faden und Rhythmus mangelte, fiel die Schmähung der sieben Negativpreis-Träger ungewohnt schwach aus. Höhepunkt war der Auftritt von Kurt Schügerl, Geschäftsführer der Digilight Werbe- und Netzwerk GmbH. Er ist "Gewinner" in der Kategorie "Kommunikation und Marketing" und einer der Wenigen, die je den Mut bewiesen haben, sich ihren Big Brother Award abzuholen. Schügerls Firma betreibt auf Wiener Bahnhöfen Monitore, die unter anderem mit Fotos über die Fahndung nach (vermeintlichen) Straftätern sowie vermissten Personen informieren. Das schüre Paranoia und schaffe ein Gefühl der ständigen Bedrohung, ohne zu einer Ergreifung zu führen, meint die Jury.

Das Logo der diesjährigen Gala

(Bild: bigbrotherawards.at)

Schügerl, der durch sein Erscheinen zunächst einige Sympathiepunkte sammeln konnte, kritisierte Fehler bei der Recherche der Veranstalter. So war zunächst der nicht verantwortliche Bahnhofbetreiber nominiert. Seine weiteren Ausführungen kamen bei der Preisverleihung im Wiener Rabenhof Theater aber weniger gut an. Die Fahndungen würden vom Staatsanwalt angeordnet und zeigten beispielsweise Personen, während sie die Tat begehen. "Wo hört die Unschuldsvermutung auf?", sagte der Manager, "Wenn der Verbrecher dabei gefilmt wird?" Als er statt Unschuldsvermutung den Begriff der "Unmutsverschuldung" vorbrachte, wurde er von der Bühne gebuht.

In der Business- und Finanzwelt fiel die Wahl auf Frank Wartenberg. Er ist für die Geschäfte des IMS (Institut für Medizinische Statistik) in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Das IMS bietet österreichischen Ärzten Geld für die Installation einer Software, die Daten aus den Krankenakten samt Laborwerten und Befunden automatisch an das IMS schickt. Nach Angaben der Firma werden die Informationen anonymisiert für Studien genutzt. Die ärztliche Schweigepflicht werde "in keiner Weise berührt." Österreichische Ärztekammern sind nicht überzeugt und raten ihren Mitgliedern von der Teilnahme ab.

Aus dem Kreis der Politiker wurde der Vorsitzende des österreichischen Datenschutzrates, Johann Maier, "geehrt". Er ist auch Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat (1. Kammer des Parlaments) und stimmt dort bisweilen anders als im Datenschutzrat. Dieses offizielle Gremium hatte sich unter Maiers Vorsitz einstimmig gegen die Weitergabe österreichischer Polizeiinformationen samt Fingerabdrücken und DNA-Daten an die USA ausgesprochen. Auch die Vorratsdatenspeicherung lehnte der Datenschutzrat ab. Bei der entscheidenden Abstimmung im Parlament soll sich Maier aufs stille Örtchen verdrückt haben; der Preisgabe der Polizeidaten stimmte er sogar zu mit der Begründung: "Ich bin ja Realist."

Der Sonderpreis für das "lebenslange Ärgernis" wurde den Lobbyisten zugedacht, die nach wie vor für Netzsperren und ähnliche Zensur eintritt. Google wiederum wurde für seinen "Globalen Datenhunger" mit einem Preis bedacht. Der Datenkonzern spielte auch ein Rolle beim Preis für "Behörden und Verwaltung": Seit gut einem Jahr können auf der Website des österreichischen Parlaments Bürgerinitiativen und Petitionen an den Nationalrat (und neuerdings auch an den Bundesrat) online unterstützt werden. Zahlenmäßig stärkste Initiative war bisher jene gegen die Vorratsdatenspeicherung, die von über 106.000 Österreichern unterzeichnet wurde. Die Parlamentsdirektion schaltete aber bald ein Captcha vor, das ausgerechnet von Google betrieben wird.

Laut Jury der Big Brother Awards erfährt damit Google, welche Österreicher welche Petition unterstützen, selbst wenn sie es ablehnen, dass ihre Daten veröffentlicht werden. Die Parlamentsdirektion zeigte zunächst wenig Problembewusstsein: "Auch Facebook und Twitter" würden Googles reCaptcha einsetzen hieß es in einer Rechtfertigung. Also wurden Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) und die in der Parlamentsverwaltung für Digitale Medien verantwortliche Person ausgezeichnet.

Für die Nennung dieses Namens entschuldigte sich der Präsident des veranstaltenden Vereins Quintessenz, Markus Kainz, coram publico. Es entspräche nicht den Grundsätzen der Quintessenz, Mitarbeiter namentlich anzuprangern. Der Award zeigte bereits Wirkung: Die Parlamentsdirektion arbeitet an einer datenschutzkonformen Lösung.

Nicht die Jury sondern eine allgemeine Volkswahl verschaffte der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) den siebten und letzten Big Brother Award 2012. Die Sammlung aller Gesundheitsdaten werde den Österreichern als "Patienten-Empowerment" verkauft, kritisierte Hans Zeger von der Arge Daten. Das versprochene Opt-Out ist aus seiner Sicht "Etikettenschwindel". Die ELGA GmbH sieht das naturgemäß anders. (mho)