Schäuble will heimliche Online-Durchsuchungen "jetzt machen"

Der Bundesinnenminister hat den Dauerstreit um Online-Razzien satt und möchte den Bundestrojaner endlich von der Leine lassen, da die Sicherheitsbehörden ihn händeringend darum bitten würden.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat den Dauerzwist um heimliche Online-Durchsuchungen in der großen Koalition satt. Im ZDF-Morgenmagazin hat sich der CDU-Politiker daher nachdrücklich für die sofortige Verabschiedung seines umstrittenen Entwurfs zur Novellierung des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) durch das Bundeskabinett ausgesprochen. "Wir haben genug gestritten, wir sollten's jetzt machen", erklärte Schäuble. Er betonte im Gleichklang mit BKA-Chef Jörg Ziercke, es gehe lediglich um "eng begrenzte Ausnahmefälle", in denen "informationstechnische Systeme" von Ermittlern ausgespäht werden sollten. Online-Razzien seien auch nicht eine Art Privatvergnügen von ihm, unterstrich der Minister. Vielmehr würden ihn die Sicherheitsbehörden händeringend darum bitten, endlich eine gesetzliche Grundlage für die unter der rot-grünen Regierung gestarteten und von ihm zunächst gestoppten Netzbespitzelungen zu schaffen.

Allgemein rechtfertigte Schäuble am sechsten Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 die zahlreichen seitdem ergriffenen Maßnahmen und geschaffenen Gesetze zur Terrorabwehr. Er bestritt, dass sie auf Kosten der individuellen Freiheit gegangen seien. "Die Menschen wollen zu Recht beides, Sicherheit und Freiheit", philosophierte der Minister. Niemand wolle dabei aber die "Freiheit, um im Flugzeug abzustürzen". Zugleich räumte der Minister ein, dass auch bei Anti-Terrorpaketen die Verfassung zu beachten sei: "Wir dürfen es nicht übertreiben." Bei Verdächtigen würden natürlich auch Durchsuchungsmaßnahmen und elektronische Überwachungen schon heute gemacht, führte Schäuble weiter aus. Aber bei Inhaftierungen vor einer Woche habe "jeder gesehen, dass wir nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen", sondern eingreifen, "wenn wirklich Bedarf besteht".

In politischen Berlin soll es derweil am heutigen Dienstag zu einer Premiere kommen: Erstmals seit Beginn der großen Koalition sucht die Bundes-CDU ein paralleles Strategiegespräch mit der FDP. Unter der Leitung der Generalsekretäre Ronald Pofalla (CDU) und Dirk Niebel (FDP) werden sich je zehn Abgeordnete beider Parteien treffen, um über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu reden. Eines der Themen: die von der Union möglichst schnell gewünschte rechtliche Grundlage für heimliche Online-Durchsuchungen, bei der beide Parteien bislang komplett über Kreuz liegen.

Passend zu dem Termin erklärt der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff im Hamburger Abendblatt das strikte Veto der Liberalen zu Online-Razzien für zweifelhaft: "Ich glaube, dass wir dieses hundertprozentige Nein vor dem Hintergrund der Entwicklung nicht durchhalten. Vor allem nicht nach der jüngsten Verhaftung von drei mutmaßlichen Attentätern. Wir sollten aber auch die ausufernden und völlig unkontrollierten Vorstellungen des Bundesinnenministers Schäuble nicht akzeptieren", erklärte Lambsdorff. Klar ist für ihn: "Wir brauchen eine eindeutige Gesetzesgrundlage, sonst sollten wir die Finger davon lassen." Der Einsatz des so genannten Bundestrojaners sei gesetzlich mindestens gleichzusetzen mit dem großen Lauschangriff, bei dem das Bundesverfassungsgericht enge Vorgaben zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung aufgestellt hat.

Die bloße Ankündigung von Online-Durchsuchungen seitens des Bundesinnenministeriums beschert deutschen Behörden, Ämtern und Institutionen derzeit eine Welle des öffentlichen Misstrauens, will die Industrie- und Handelskammer (IHK) Offenbach festgestellt haben: "Fraglich ist, wie nützlich und notwendig ein solches Überwachungsinstrument tatsächlich ist." Insbesondere der Vorschlag, in Ausnahmefällen sogar im Namen einer Behörde offizielle E-Mails samt eines beigefügten Trojaners zu verschicken, schüre das Misstrauen in öffentliche Institutionen.

Der SPD-Kreisvorstand Herford hat sich derweil eigene, nicht ganz ernst gemeinte Gedanken gemacht, wie eine Online-Durchsuchung ablaufen könnte. Der eigentlichen Website der Jusos aus der Region hat die Parteigruppe dazu eine "Schäuble"-Suchmaschine im Google-Design vorgeschaltet, mit der sich angeblich Einblicke in den genutzten Computer, den des Nachbarn oder "alle" Rechner gewinnen lassen. Wer auf einen der Knöpfe oder Links drückt, wird allerdings auf überwachungskritische Zitate von Datenschützern weitergeleitet. Darin warnt etwa der Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) vor dem "Präventionsstaat".

Die Süddeutsche Zeitung berichtet derweil von einer wenig erfolgreichen Online-Durchsuchung, welche Geheimdienste mit dem Segen von Ex-Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bei dem Berliner Kameramann Reda S. durchgeführt haben sollen. Dieser geriet ins Visier der Behörden, weil er seinen Jüngsten "Jihad" (Heiliger Krieg) nennen wollte und dies gerichtlich durchsetzte. In internationalen Sicherheitskreisen soll der Islam-Anhänger zudem als Hintermann des Attentats auf Bali von 2002 gelten. Ausgewiesen werden kann der geborene Ägypter aber nicht, da er seit Jahren Deutscher ist. Die Nachrichtendienste wollten daher auch den Rechner des Verdächtigen inspizieren, was ihnen dem Bericht zufolge auch gelang. Gefunden haben sollen sie Bilder verbrannter britischer Soldaten im Irak und eine Menge unbekannter Kontakte, jedoch keinen Hinweis auf ein Terrorkomplott. Die Chefin des Verfassungsschutzes in Berlin, Claudia Schmid, leitet daraus nun ab, dass Online-Razzien zwar einerseits wohl in einigen Fällen helfen könnten. Schließlich würden Terrorverdächtige über mögliche Anschlagpläne heutzutage kaum noch übers Telefon sprechen. Als Allheilmittel sieht Schmid Online-Durchsuchungen aber auch nicht an. Denn wer von einem Internet-Café zum nächsten fahre und technisch raffiniert vorgehe, könne sich auch einem staatlichen Angriff mit Trojaner entziehen. Von Fritz G., dem mutmaßlichen Rädelsführer der drei jüngst inhaftierten Terrorverdächtigen, wird berichtet, dass er für die Internetkommunikation mehrere hundert öffentliche Zugangsorte und Callshops benutzt haben soll.

Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting zieht aus dem Fall das ambivalente Resümee: "Die Online-Durchsuchung kann sinnvoll sein, aber sie bringt nicht den großen Durchbruch." Wenn Verdächtige gleichsam gar nicht über das Internet kommunizieren, sondern einen Anschlagsplan auf einem USB-Stick speichern und an eine Kontaktperson weiterreichen, könne die entsprechende Datei auf Festplatten wohl kaum gefunden werden. Durchaus Zugriffsmöglichkeiten böte aber das Keylogging, bei dem die Tastatureingaben auch vor einer möglichen Verschlüsselung abgegriffen würden. Entsprechende Aufzeichnungsverfahren hat das Bundesinnenministerium bei seinen Plänen rund um den Bundestrojaner mit ins Spiel gebracht. Mögliche Funktionen des geplanten Bundestrojaners zum Mitschneiden von Tastatureingaben sind nichts anderes als ein Software-Keylogger, während Hardware-Keylogger direkt in die Tastatur des zu überwachenden Computers eingebaut werden müssten.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)