Nach der "Tron"-Verfügung: Wikipedia-Community soll über Ethik beraten [Update]

Nach der Gerichtsentscheidung gegen die einstweilige Verfügung wegen des Klarnamens des Hackers Tron leitet wikipedia.de nun wieder automatisch auf die deutschsprachige Eingangsseite der Online-Enzyklopädie um.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 288 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Nach dem das Amtsgericht Charlottenburg die Einstweilige Verfügung gegen die Wikimedia Deutschland am heutigen Donnerstagmorgen zurückgewiesen hat, leitet die deutsche Domain wikipedia.de wieder auf die deutschsprachige Eingangsseite der Wikipedia um. Der Vorstand des Vereins appelliert an die Wikipedia-Community, gemeinsam eine Informationsethik für die freie Enzyklopädie zu erarbeiten.

Obwohl die Einstweilige Verfügung vom 17. Januar schon nach zwei Tagen ausgesetzt worden war, hatte Wikimedia Deutschland bisher darauf verzichtet, die ursprüngliche Version der Webseite wieder herzustellen. Neben einem erklärenden Text war nur ein Link auf die offizielle Adresse de.wikipedia.org auf die Seite gestellt worden. Darüber stand die Aufforderung, Bookmarks und Verweise nur auf die offizielle Domain abzuändern. Diese Informationsseite wurde am heutigen Donnerstag am frühen Nachmittag deaktiviert und wieder durch eine Weiterleitung ersetzt. Allerdings mit einer Einschränkung: Wer versucht, unter der deutschen Domain direkt auf einen Artikel zuzugreifen, wird nur noch auf die Hauptseite geleitet. Vor dem Rechtsstreit wurde verirrten Surfern noch ein Hinweis auf die korrekten Internetadressen der gesuchten Artikel gegeben.

In der Sache sieht sich der Verein durch das Urteil des Berliner Amtsgerichts voll bestätigt. Durch die Nennung des Nachnamens von Tron in der Wikipedia seien keine Persönlichkeitsrechte verletzt worden. "Wir hoffen, dass die juristische Auseinandersetzung damit beendet ist und der Anwalt der Kläger angesichts der Eindeutigkeit des Urteils von weiteren Schritten gegen Wikimedia absieht”, erklärt Kurt Jansson, Erster Vorsitzender von Wikimedia Deutschland. Gleichzeitig forderte er die Familie Trons auf, die Einstweilige Verfügung vom Dezember 2005 gegen die Wikimedia Foundation in Florida, dem eigentlichen Betreiber der Wikipedia, zurückzuziehen. Es sei kaum zu erwarten, dass das Amtsgericht Charlottenburg hier zu einer anderen Entscheidung kommen werde. In der Tat hat das Amtsgericht in seiner Urteilsbegründung nicht nur die Wikimedia Deutschland von der Haftung als vermeintlicher Mitstörer befreit, sondern insgesamt die Ansprüche der Familie auf Streichung des Nachnamens zurückgewiesen.

Dennoch will Wikimedia Deutschland nicht zum Alltagsgeschäft übergehen. Die Wikipedia Community solle zusammen mit der Öffentlichkeit in den nächsten Monaten eine Informationsethik für die freie Enzyklopädie erarbeiten, der Verein will das Thema in den nächsten Monaten voranbringen, heißt es in einer Erklärung von Wikimedia Deutschland.

Der Fall Tron zeigt, wie schwierig es ist, bei ernsthaften Auseinandersetzungen innerhalb der Wikipedia einen verlässlichen Kompromiss herzustellen – nicht nur die normalen Wikipedianer, auch die Administratoren sind in der Frage der Namensnennung unterschiedlicher Meinung. Erst vor kurzem wurde der Nachname Trons wieder abgekürzt, um eine Minute darauf wieder hergestellt zu werden. Arne Klempert, Zweiter Vorsitzender von Wikimedia Deutschland e.V., zeigt sich jedoch optimistisch, dass die Wikipedia-Community zu einer vernünftigen Lösung kommt: "Letztlich hat aber die Gerichtsentscheidung gezeigt, dass diese diffuse Gruppe durchaus willens und in der Lage ist, sich bei der Formulierung von Artikeln an deutsches Recht zu halten."

[Update]:
Trons Eltern wollen jedoch den Rechtsweg weitergehen. Ihr Anwalt Friedrich Kurz erklärt: "Die Eltern haben sich entschlossen, den Schutz ihrer Privatsphäre und die Achtung vor der Entscheidung ihres verstorbenen Sohnes nicht preiszugeben. Gegen die Entscheidung wird daher Rechtsmittel eingelegt werden." Kurz kritisiert "Schmähungen und Verunglimpfungen" aus der Wikipedia-Community gegen seine Mandanten, die Namensnennung diene nur dem "voyeuristischen Interesse einer anonymen Masse, die möglichst alle Daten über jeden sammeln, speichern und weltweit zugänglich machen will". (Torsten Kleinz) / (jk)