24C3: Mehr Aktivismus 2008

Fast alle Teilnehmer am 24. Chaos Communication Congress waren sich einig: die Richtung stimmt.

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Nach rund 100 Vorträgen an vier Tagen auf dem 24. Chaos Communication Congress über Spaß am Gerät, Überwachungstechniken und Gegenmittel dazu sowie über allerorts aufscheinende Sicherheitslücken waren sich bei der Abschlussveranstaltung am gestrigen Sonntagabend in Berlin fast alle Teilnehmer einig: die Richtung stimmt. Natürlich nicht bei der Gesetzgebung und der politischen Großwetterlage, wie der Zeremonienmeister Tim Pritlove vom CCC (Chaos Computer Club) noch einmal betonte. "Wir sind gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen Softwarepatente, gegen den Bundestrojaner, gegen Wahlmaschinen und für den Schutz der Privatsphäre." Dies sei auf zahlreichen Veranstaltungen nicht nur während des Kongresses, sondern während des ganzen zu Ende gehenden Jahres deutlich geworden. Mehr Aktivismus müsse daher die Losung für 2008 lauten.

Pritlove hatte sich zuvor über eine E-Mail von Tom Twiddlebit alias Klaus Schleisiek gefreut, einem der Mitgründer des CCC anno 1981 neben dem 2001 verstorbenen Wau Holland. Der versammelten Hackergemeinde las er aus den darin enthaltenen Beobachtungen des nur noch sehr locker mit dem "intergalaktischen" Verein verknüpften Veteranen vor: "In einer achtjährigen Wandlungsperiode hat der CCC eine Entwicklung durchgemacht, in der der Club politischen Biss bekommen hat." Die Losung könne daher mit dem diesjährigen Kongressmotto wirklich nur lauten: "Volldampf voraus!"

Pritlove knüpfte daran die Aufforderung an die Zuhörer, eigene Hackerräume und Orte für Zusammenkünfte und die schöpferisch-kritische Auseinandersetzung mit der Technik einzurichten sowie physisch Präsenz und Flagge zu zeigen. Aufklärung sei nötig, dabei dürfe man sich auch vom teils zur Schau getragenen Desinteresse von Kollegen nicht abbringen lassen. Nicht erbaut von den politischen Bemühungen des CCC und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen zeigte sich dagegen der Blogger Daniel Kulla. Nach Ablehnung eines kritischen Vortrags auf dem Kongress über die versagende Lobby für Bürgerrechte und das überwachungswillige "Volk 1.0" hierzulande wich er am Samstagabend für die entsprechende Darstellung auf das nahe Veranstaltungszentrum c-base aus.

Wie üblich hatte Pritlove zum Ausklang auch statistische Daten mitgebracht. Demnach verfehlte der 24C3 mit 4013 Besuchern den im vergangenen Jahr aufgestellten Rekord knapp. Da im Vergleich zum Vorjahr etwas weniger Vorträge auf dem Programm standen, waren die Veranstaltungen in der Regel selbst im großen Auditorium im Berliner Congress Center am Alex trotzdem heillos überfüllt. Während im Publikum daher oft chaotische Zustände herrschten, zog das Organisationsteam den Fahrplan insbesondere bei den Zeiten mit geradezu preußischer Pünktlichkeit durch. Sogar die zumindest anfangs überraschend gut funktionierenden Webstreams endeten beim Flash-basierten Angebot CCCTube abrupt nach der für ein Referat vorgesehen Dauer – unabhängig davon, ob die Veranstaltung etwa mit einer Fragerunde noch weiter ging.

Das Netzwerk für den Kongress der Technikexperten aufzubauen, war erneut eine große Herausforderung, machte Alex, der Chef des Network Operation Center (NOC) deutlich. So seien einige Hacks erforderlich gewesen, um die drei Zugangspunkte für Glasfaserleitungen im Gebäude zu erschließen und die "fetten Leitungen" in weiter verarbeitbare Verbindungen aufzuteilen. Ein mutiger, mit einem Messer bewaffneter Bastler habe diese Aufgabe schließlich größtenteils bewältigt. Insgesamt habe der vom Kongress ins Internet abgegangene Verkehr bei enormen 2,3 Gbit/s gelegen, hoch von rund 1,7 Gbit/s in 2006. Dies entspreche über 2 Millionen Datenpaketen pro Sekunde. Über das drahtlose Netz seien zusätzlich 260 Mbit/s an Datenverkehr geflossen. Wie Pritlove weiter ausführte, sind im Rahmen des Selbstüberwachungsprojekts Sputnik mit aktiven RFID-Tags zudem dieses Jahr 580 Megabyte an Daten bei 25,2 Millionen Sichtungen der Funkchips an 37 Lesegeräten angefallen. 210 Besucher hätten daran teilgenommen, 76 davon mit einem Pseudonym, der Rest anonym. Fürs allgemeine Datamining würden die Rohinformationen wieder über die Webseite OpenBeacon.org frei zur Verfügung gestellt.

Einige "Zwischenfälle" musste Pritlove noch vermelden. Erfreulich sei gewesen, dass sich Gruppierungen von CDU und SPD zeitweilig den politischen Forderungen des CCC angeschlossen hätten. "Was im Web zu lesen ist, entspricht immer der Wahrheit", kommentierte der Hacker die Webseiten-Verzierungen. Weniger schön sei gewesen, dass ein Kongressteilnehmer nach der Nutzung der universellen Fernbedienung TV-B-Gone zum Abstellen von TV-Geräten im nahen MediaMarkt wegen angeblicher Sachbeschädigung an einem teuren Plasma-Bildschirm festgehalten und der Polizei übergeben worden sei. Die Mitarbeiter des Einzelhändlers hätten das nützliche Ausschaltwerkzeug wohl mit einer mystischen Cyberwaffe verwechselt.

Rege in Anspruch genommen hätten Besucher die zum dritten Mal geschaltete "Hacker Ethics Hotline", berichtete Ex-CCC-Sprecher Frank Rieger. Zwei Referenten etwa seien sich unsicher gewesen, ob sie wirklich all das vortragen dürften, was sie sich vorgenommen und entdeckt hätten. Andere Hacker hätten wissen wollen, wie am besten mit aufgespürten schweren Sicherheitslücken umzugehen sei. Auch weniger gravierende Schwachstellen bei Webservern seien immer wieder thematisiert worden. Dagegen sind Rieger zufolge nur drei Anrufe auf dem "Abuse"-Telefon eingegangen. Einmal sei es um angeblich "illegale Inhalte" auf den umfangreichen FTP-Servern des Kongresses gegangen, was nicht weiter verfolgt werden konnte. Andere besorgte Administratoren hätten sich Zugriffe auf IP-Adressen ihrer Server vom Hackernetzwerk aus vorsorglich sperren lassen wollen, was dann auch eingerichtet worden sei.

Zum 24. Chaos Communication Congress siehe auch:

(Stefan Krempl) / (hps)