Public Knowledge: Obama hat freie Hand für Telecom-Politik

Wie wird sich die Lage der IT- und Kommunikationsbranche, wie wird sich die Netzpolitik in den USA in Obamas zweiter Amtszeit entwickeln? Harold Feld von der digitalen Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge sieht einige positive Veränderungen, aber auch Grund zur Wachsamkeit.

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Barack Obama ist als US-Präsident wiedergewählt – und nicht nur wegen seiner intensiven Nutzung sozialer Netze im Wahlkampf und zur Bürgerinformation wird ihn hohe Affinität zur Hightech- und Medienbranche nachgesagt. Wie aber wird sich die Lage der IT- und Kommunikationsbranche, wie wird sich die Netzpolitik in den USA in Obamas zweiter Amtszeit entwickeln? Zu dieser Diskussion traf heise online in Washington, DC, Harold Feld von Public Knowledge. Diese Organisation setzt sich für Bürgerrechte im digitalen Zeitalter ein. Zugang zu Wissen, Urheberrechte und Konsumentenrechte bei der Nutzung neuer Technologien sind ihre zentrale Themen.

Doch statt des Ausgangs der US-Wahl stand zunächst ein anderes, aktuelleres Thema im Zentrum: Stunden zuvor hatte AT&T einen großen Aus- und Umbau seiner Netze angekündigt. Diese Investitionen in Amerika seien "wirklich gut", meint Feld; mit einem sehr großen "aber". Nachdem gescheiterten Versuch AT&Ts, den kleineren Mitbewerber T-Mobile USA zu übernehmen, steckt der Marktführer sein Geld nun in die Modernisierung der Infrastruktur. Angestrebt wird ein integriertes Netz von Festnetz und Mobilfunk, das zur Gänze auf IP setzt. Nach aktueller Rechtslage würde AT&T damit aber aus der Telecom-Regulierung herausfallen, meint Feld. Bislang wurden klassische Telcos wie AT&T in viel mehr Bereichen reguliert als IP-Carrier wie etwa der Kabelnetzbetreiber Comcast.

So ist AT&T in vielen US-Staaten jener Telefonanbieter, der auch unrentablen Kunden in entlegenen Landstrichen einen Anschluss bereit stellen muss (eine Art Universaldienst, wie in die deutsche Gesetzgebung kennt). Ein einfacher Sprachtelefoniedienst muss zu einem regulierten Einheitspreis verfügbar sein. Im Gegenzug hat AT&T Lizenzen für besonders rentable Gebiete erhalten. Die Verpflichtung zur Grundversorgung könnte bei Umstellung auf reinen IP-Betrieb wegfallen. Selbst wenn AT&T verspricht, in diesen Regionen weiterhin Sprachdienste anzubieten (etwa über Mobilfunk), heißt das noch nicht, dass auch der Preis günstig bleibt.

Auch die Vorschrift einer Zusammenschaltung mit allen Mitbewerbern zu gleichen Konditionen, die netzübergreifende Telefonate ermöglicht, gibt es im Bereich der IP-Netze nicht. Selbst Informationspflichten würden entfallen. Dank dieser weiß die FCC, dass Hurrikan Sandy in zehn US-Staaten etwa ein Viertel aller Mobilfunk-Sendestationen ausgeknipst hat. Das sind wichtige Daten für Einsatzkräfte und die Planung zukünftiger Zivilschutzmaßnahmen.

"Wollen die USA die erste Industrienation sein, die (bei der Telefonversorgung) einen Schritt zurück macht?", fragte Feld rhetorisch. Er erwartet, dass eine simple Ausdehnung der Telecom-Regulierung auf alle IP-Carrier auf Widerstand von Comcast & Co. stoßen würde. Daher sei es erforderlich, in Ruhe neue Richtlinien zu entwickeln. Denn selbst ein Rückgang des Versorgungsgrades um wenige Prozent würde Millionen von US-Amerikanern betreffen. "Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie", führte Feld weiter aus, "Jene Bürger, die den Verlust ihres Telefonanschlusses beklagen müssten, wählen gerade die Politiker, die sich für Deregulierung einsetzen."

Damit war im Gespräch die Kurve zum Wahlthema gekratzt: "Die Leute sagen, sie möchten 'Small Government', aber sie meinen es nicht so ganz. Sie wissen nicht, was die Behörden für ihr Leben leisten. (…) Die Bürger sind nicht glücklich, wenn man ihnen wichtige Dienste wegnimmt." Der Hurrikan Sandy habe bewiesen, dass bestimmte Serviceleistungen besser durch den Staat als durch private Unternehmen erbracht werden können.

Obama hat freie Hand

Obama und seine Demokraten kontrollieren zwar das weiße Haus und den Senat, in der anderen Kammer des Parlaments (Repräsentantenhaus) verfügen aber die Republikaner über eine deutliche Mehrheit. Dadurch kommt es häufig zu einer Blockade zwischen Repräsentantenhaus und Senat. "Diese Blockade bringt aber auch Gewissheit", meint Feld. "Obama hat freie Hand für seine Telecom-Agenda. Denn der Kongress wird kein Gesetz durchsetzen können, das Behördenentscheidungen umdreht."

Die Regierung Obama habe deutlich gemacht, dass sie vier nationale Mobilfunk-Anbieter wolle. "Das war ein Erfolg. AT&T investiert, statt Konkurrenten zu kaufen. Bei T-Mobile fließen ausländische Investitionen ins Land und (der japanische Netzbetreiber) Softbank investiert in Sprint." Offener Zugang zu Netzen werde es mit Obama aber ebenso wenig geben wie eine Verpflichtung zum Entsperren netzgebundener Endgeräte. Regeln über Netzneutralität würden undeutlich bleiben.

Die Netzbetreiber wehren sich gegen netzunabhängige Videodienste wie Netflix und Amazons Streaming. Hier erwartet Feld, dass die Regulierungsbehörde FCC keine Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs ergreifen wird. "Apple TV und Google TV werden das gleiche Schicksal wie TiVo erleiden (solange die Kunden Filme am TV-Gerät sehen wollen). Die Kabelbetreiber machen einfach ähnliche Angebote. So verdient TiVo sein Geld heute mit der Lizenzierung seiner Patente an die Kabelbetreiber." Public Knowledge wolle daher sicherstellen, dass die FCC die Situation nicht schlimmer mache, wenn sie schon diesen Wettbewerb nicht fördere.

Roamingtarife seien zwar für ihn selbst in anderen Funktionen ein Thema, für Public Knowledge aber weniger. "Das scheint auf dem Radar der meisten US-Politiker nicht auf. Unsere Bürger fahren nicht so viel ins Ausland." Das Probleme werde mehr auf der generellen Ebene von "Billshocks" (unerwartet hohe Rechnungen) angegangen.

Hollywood wird Teile von SOPA wiederbeleben

Neben dem Präsidenten und Funktionsträgern in einzelnen Bundesstaaten wurden am Dienstag auch ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt. Für die Themen Urheberrechte und Freies Internet sieht Feld ermutigende Ergebnisse. "Die [kalifornischen Kongressabgeordneten] Howard Berman [Demokraten] und Mary Bono Mack [Republikaner] kommen nicht wieder. Sie waren sehr aggressiv im Auftrag Hollywoods unterwegs. Natürlich wird jeder Abgeordnete aus diesen Bezirken Hollywood zuhören, aber die neuen Leute werden offener sein und ihre Lehren aus [dem Widerstand der Bevölkerung gegen die Gesetzesvorschläge] SOPA und PIPA ziehen. Das wird den Dialog verändern."

Auf den Parteitagen beider Parteien hätten sich Gruppierungen für ein freies Internet eingesetzt."Darrell Issa [Republikaner] und Zoey Lofgren [Demokraten] wurden wiedergewählt. Beide waren gegen SOPA und PIPA. Auf der anderen Seite hat es Michelle Bachmann ["Teaparty"-Fraktion der Republikaner] nur ganz knapp geschafft." Das sei ein Signal. Auch die Drohung Chris Dodds [Demokraten], wonach Hollywood bei einem Scheitern von SOPA und PIPA nichts mehr für Wahlkämpfe spenden werde, habe sich nicht bewahrheitet. Dodd ist ein ehemaliger Senator und nun Chef des Filmstudioverbands MPAA. "Tatsächlich hat Hollywood bezahlt", betonte Feld.

"SOPA ist tot", sagte Feld. "Aber Hollywood ist nicht dumm, auch sie lernen dazu." Public Knowledge erwartet, dass Hollywood die Themen wieder aufs Tapet bringen wird – nachdem neue Argumente vorsichtig durch Marktforscher und Gruppendiskussionen getestet wurden. Hollywood werde auch technische Experten engagieren, die besser gegen die Internet-Ingenieure argumentieren könnten. Lamar Smith (Republikaner, unterstützt von MPAA und dem Musikindustrieverband RIAA) suche bereits nach Gesetzesvorschlägen, in denen adaptierte Teile von SOPA und PIPA untergebracht werden könnten.

Die Bürgerbewegung müsse also wachsam bleiben: "Wir brauchen eine Symbiose zwischen den Experten in Washington, die neue Gesetze und Änderungsanträge studieren, und Leuten, die schnell die Außenwelt mobilisieren können." Dies gesagt, enteilte Feld zu einer Telefonkonferenz: Das Thema AT&T ist in Washington derzeit aktueller als der 113. US-Congress, der erst im Januar seine Arbeit aufnimmt.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Lage nach der US-Präsidentschaftswahl. Heise online trifft dazu in der US-Hauptstadt Washington, DC, Experten mit unterschiedlichen Einstellungen und Arbeitsgebieten. Der Mobilfunk-Branchenverband CTIA hat allerdings auf Interview-Anfragen leider nicht reagiert. (jk)