Wikimedia stellt sich neu auf

Die Organisation, die neben der Online-Enzyklopädie Wikipedia auch zahlreiche Schwester-Projekte betreibt, soll professionalisiert werden.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die Wikimedia Foundation stellt sich neu auf. Zwei Mitglieder haben sich aus dem Vorstand der Stiftung zurückgezogen, Florence Devouard möchte den Vorsitz der Organisation abgeben. Die Organisation, die neben der Online-Enzyklopädie Wikipedia auch zahlreiche Schwester-Projekte betreibt, soll professionalisiert werden.

Auf der Mailingliste der Wikimedia Foundation zieht die Vorsitzende zum Jahresanfang Bilanz: Sie habe sich bemüht, die Organisation, die am Anfang ganz auf den Wikipedia-Gründer Jimmy Wales zugeschnitten war, auf feste Beine zu stellen und geregelte Arbeitsabläufe einzuführen. Jetzt komme es darauf an, eine schlagkräftige Mikro-Organisation aufzubauen, bei der der Vorstand nur noch Aufsichtsfunktionen wahrnehme und das tägliche Geschäft von Angestellten geführt werde.

Den ersten Schritt dazu hat die Stiftung im November getan, als sie die Jounalistin Sue Gardner als Geschäftsführerin der Foundation anstellte. Gardner hat als erstes den Umzug der Wikimedia Foundation von der Senioren-Hochburg Florida ins webaffine San Francisco organisiert. Hier soll die Stiftung in eine kleine, aber schlagkräftige Organisation umgewandelt werden. Der Berliner Journalist Erik Möller wechselt vom Wikimedia-Vorstand in das Wikimedia-Büro.

Wie die Organisation in Zukunft aussehen soll, ist nicht ganz klar. So bringt Devouard ein neues Gremium in die Diskussion, das in Zukunft die Interessen aller Wikimedia-Projekte organisieren soll: das Wiki-Council. Devouard berichtet auch von einem Richtungsstreit im Vorstand: Während eine Seite die Professionalisierung des Vorstandes mit erfahrenen Führungskräften plant, spricht sich die Vorsitzende für einen Vorstand aus, der die Interessen der Community vertritt. Derzeit wird ein Teil der Wikimedia-Vorstände von den Teilnehmern der verschiedenen Wikimedia-Projekte gewählt. Das Führungsgremium, das derzeit auf fünf Mitglieder geschrumpft ist, soll in Zukunft auf elf Mitglieder anwachsen.

Die Vertreter einer Professionalisierung bekamen im Dezember unerwartet Munition: So berichtete das britische Magazin The Register, dass die als Chief Operating Officer engagierte Carolyn Doran wegen eines verheimlichten Vorstrafenregisters bereits im Juli ihren Posten aufgeben musste. Doran sitzt derzeit in Haft, die Wikimedia Foundation erklärte ihr Ausscheiden zunächst mit persönlichen Gründen, räumte aber später Versäumnisse bei der Einstellung ein. Auch die Überprüfung des vergangenen Budgets konnte entgegen der Zusagen noch nicht vorgelegt werden. Als Grund gibt Devouard Personal- und Geld-Knappheit an. Dieser Personalmangel macht sich immer wieder schmerzlich bemerkbar: So konnten die immer wieder angekündigten gesichteten Artikelversionen nicht eingeführt werden, weil die Entwickler das Bewertungssystem für Wikipedia-Artikel nicht freigeschaltet haben.

Gerade die Finanzlage macht eine Neuorganisation der Stiftung notwendig. Für das laufende Geschäftsjahr ist ein Budget von 4,6 Millionen Dollar vorgesehen – über Kleinspenden ist der Betrag nicht mehr zu finanzieren. Um mehr Geld einnehmen zu können, hat die Foundation die aktuelle Spendenkampagne um mehrere Wochen verlängert und konnte auch einen anonymen Spender dafür gewinnen, die Einnahmen vom Neujahrstag zu verdoppeln. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg: Am 1. Januar kamen nach ersten Zahlen nur 26.000 Dollar zusammen. Um den großen Finanzbedarf der Organisation zu decken – allein der Unterhalt der Server verschlingt über 2,5 Millionen Dollar – will die Foundation in Zukunft mehr auf Spenden von Regierungen und internationalen Organisationen setzen.

Siehe dazu auch in Ausgabe 2/08 von c't (ab Montag, den 7. Januar, im Handel):

  • "Ein ständiges Bemühen, die Dinge zu verbessern", die Wikimedia Foundation auf dem Weg vom Experiment zur Organisation. Interview mit Wikimedia-Geschäftsführerin Sue Gardner, c't 2/08, S. 62

(jk)