Nach der US-Wahl: "Werden wir den echten Obama sehen?"

US-Fachanwalt John Mitchell ist sich nicht sicher, ob es bei der Technologie-Politik große Unterschiede zwischen Obama und Romney gibt. Denn Themen wie Urheberrechte, Patente, Privatsphäre oder Weltraumforschung seien nicht Gegenstand der Debatten gewesen. Man wisse nicht, wo Romney steht. Gleiches gelte für Obamas persönlichen Standpunkt, da vieles auf unteren Ebenen der Regierung entschieden worden sei.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 24 Kommentare lesen
Lesezeit: 9 Min.

"Viel von dem, was die Regierung Obama bisher getan hat, wurde durch ihr Schielen auf die Wiederwahl gefiltert", sagte der US-Anwalt John Mitchell im Gespräch mit heise online, "Jetzt wird es interessant. Werden wir den wahren Obama sehen?"

Mitchell arbeitet in Washington, DC, und übernimmt vor allem Fälle, in denen es um freie Meinungsäußerung, freien Wettbewerb, die Privatsphäre, Copyright oder Religionsfreiheit geht. Bei Wahlen hat er sich auch schon unentgeltlich im Rahmen einer überparteilichen Initiative für den Wählerschutz engagiert. "Waren da Themen die Obama in Rücksicht auf öffentliche Unterstützung und (Wahlkampfspenden) anders behandelt hat?", fragte Mitchell rhetorisch, "Und wird er jetzt seinen wahren Leidenschaften nachgehen?"

"Das sind aufregende Zeiten – bis zu einem gewissen Grad", relativiert der Anwalt. Denn es gäbe führende Funktionäre, die annehmen, dass sie in vier Jahren keinen Regierungsjob mehr haben werden. Entweder aufgrund ihrer politischen Verknüpfung mit Obama, oder weil ihnen in der Privatwirtschaft ein deutlich besser bezahlter Arbeitsplatz winkt. Solche Personen könnten versuchen sich potenzielle Arbeitgeber gewogen zu halten. "Da gibt es relativ unbekannte Leute in der Verwaltung mit ihrer eigenen, persönlichen Agenda. Und Obama weiß nicht notwendiger Weise, was vor sich geht."

Im Bereich der Technologie-Politik hätte es wohl keine großen Unterschiede zwischen Obama und Romney gegeben, glaubt Mitchell. Ganz klar sei das aber nicht, denn Themen wie Urheberrechte, Patente, Privatsphäre und auch Weltraumforschung seien nicht Gegenstand der Debatten zwischen den Beiden gewesen. "Man weiß nicht wirklich, wo Romney steht." Gleichzeitig wisse man aber auch nicht, wo Obama persönlich stehe, "weil so viel auf unteren Ebenen der Regierung abgewickelt wurde."

Beispielsweise habe der demokratische Politiker vor vier Jahren mehr Transparenz, weniger Geheimnistuerei und weniger Einfluss von Lobbyisten versprochen. Dann aber sei der Handelsvertreter der Vereinigten Staaten mit "höchster Geheimhaltung" vorgegangen und habe Vertragsentwürfe ausschließlich bestimmten Lobbyisten zugänglich gemacht. Im Weißen Haus sei das wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. (Anmerkung: Der Handelsvertreter handelt internationale Abkommen aus, die auch das US-Recht ändern können. Das Parlament kann auf den Verlauf der Verhandlungen keinen Einfluss nehmen und bekommt nur ein Ergebnis zur Abstimmung vorgelegt. Der Amtsträger steht im Ministerrang und befasst sich traditionell mit dem Schutz "Geistigen Eigentums".)

"Wir hatten eine echte Diskrepanz zwischen den vom Präsidenten eingenommenen Positionen und den Handlungen der Regierung auf unteren Ebenen", kritisierte Mitchell, "Das wäre mit Romney aber ebenso der Fall gewesen." Und während Außenministerin Hillary Clinton international für freien Zugang zu Wissen und Bildung werbe, sei in den USA im Urheberrecht eine Politik des Zumachens und der Zugangsverweigerung gefahren worden. "Viel davon wird von Gruppen mit Partikularinteressen diktiert."

Republikanische Wählerentmutigung als Bumerang

In den USA ist das Wahlrecht Angelegenheit der Bundesstaaten, was zu einem Dschungel an Vorschriften und Präzedenzfällen geführt hat. Selbst für die beiden Spitzenkandidaten war es teilweise schwierig, überhaupt auf den Wahlzettel zu kommen. Um die formellen Voraussetzungen und Fristen einzuhalten und die Gebühren korrekt zu entrichten sowie Klagen der Gegenseite abzuwehren waren spezialisierte Anwälte monatelang im Einsatz.

Ein Wahlrecht für Bürger gibt es in der US-Verfassung nicht. Zur Zeit ihrer Entstehung hätte das einen Konflikt über ein Wahlrecht für nicht-kaukasische Bürger ausgelöst und wurde daher nicht erwähnt. Nur einzelne Bundesstaaten haben seither ein Wahlrecht in ihrer jeweiligen Verfassung verankert. Da es weder Meldewesen noch sonst eine zentrale Erfassung der Menschen gibt, haben ärmere sowie ältere Amerikaner häufig keinen Lichtbildausweis. Die Republikanische Partei ist seit jeher strikt gegen die Einführung eines bundesbehördlichen Personalausweises.

Traditionell war der Urnengang auch ohne Dokumente möglich. Man musste im Wahllokal lediglich Namen und Adresse nennen sowie Staatsbürgerschaft und Wahlalter bekräftigen. Erforderlich war eine rechtzeitige Registrierung vor jedem einzelnen Wahlgang, das aber auch ohne Zwang eines Lichtbildausweises.

In den so genannten Swing States, in denen es keine deutliche, historisch gewachsene Mehrheit für eine der beiden großen Parteien gibt, versucht die republikanische Reichshälfte immer wieder die Wahlgesetze zu verschärfen. Sie strebt nach Ausweiszwang, strengeren Nachweispflichten und einer Reduktion oder Abschaffung von Frühwahltagen (Tage vor dem eigentlichen Wahltag, an denen bereits Stimmen abgegeben werden können). Das trifft bestimmte Bevölkerungsgruppen härter, als andere: Ärmere, Bürger ohne Auto, Personen die aufgrund langer Arbeitszeiten am Wahltag wenig Zeit haben, und so weiter. Mithin eher demokratisch gesinnte Wählergruppen.

Dazu kommen immer wieder Berichte über weggeschmissene oder verfälschte Wählerregistrierungsformulare, Briefe mit irreführenden Angaben über Wahltag oder Wahllokal, ungenügende Ausstattung bestimmter Wahllokale mit Stimmzetteln, unzureichende Personalstärke daselbst und so weiter. In Florida konnten 23 Prozent der Afroamerikaner gar nicht wählen, weil die Registrierungshürden für ehemalige Straftäter für sie unüberwindbar sind. Zudem wollte der republikanische Gouverneur 180.000 Namen als unzulässig von den Wählerlisten streichen lassen. Nach heftigem Widerstand wurde mit Daten der Bundesregierung abgeglichen; am Ende wurden gerade einmal 200 Personen von der Wahl ausgeschlossen.

In manchen Bundesstaaten gibt es provisorische Stimmzettel. Diese Stimmzettel können an Wähler ausgegeben werden, die ihre Wahlberechtigung nicht unmittelbar nachweisen können. Anschließend haben sie ein paar Tage Zeit, die Dokumente beizubringen – sonst wird die Stimme gar nicht gezählt. Gerade Amerikaner, die sich und ihre Familie mit zwei oder gar drei Jobs über Wasser halten müssen, haben dafür keine Zeit. Manchmal liegen die speziellen Wahlzettel nur in größerer Entfernung vom eigentlichen Wahllokal auf, wo dann so mancher Bürger schon am Wahltag darauf pfeift.

Wahlgesetze selbst landen immer wieder vor den Verfassungsgerichten – aber wenn Bürger gar keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Teilnahme an Wahlen haben, dürfen ihnen auch allerlei Hürden in den Weg gelegt werden. "Wählerschützer" versuchen gegenzuhalten. Freiwillige Experten treten am Wahltag akut für die Rechte einzelner Personen ein, denen der Gang zur Urne zu Unrecht verweigert wird.

Anwalt Mitchell hat sich selbst schon als Wählerschützer betätigt und dabei auch republikanischen Wählern geholfen. "Die Partei, die am lautesten gegen einen nationalen Ausweis auftritt, ist die selbe Partei, die am heftigsten eine Ausweispflicht auf Ebene der Bundesstaaten verlangt", verbirgt er seinen Missmut aber nicht. Doch diesmal habe sich die Strategie der Entmutigung demokratischer Wähler als Bumerang für die Republikaner erwiesen, glaubt der Jurist.

"Beide Parteien richten sich inhaltlich nach ihren Geldquellen. Die Republikaner haben sehr wohlhabende Spender. Aber zahlenmäßig liegt ihre Wählerbasis eher bei der (informellen) 'Teaparty'. Da gibt es große Gegensätze bei den Interessen." Immer weniger Teaparty-Anhänger glaubten, dass Steuernachlässe für Superreiche neue Arbeitsplätze schafften. Und während die großen Konzerne billiges Personal wollten, sei die Teaparty gegen Einwanderung. Dazu noch das aufgeladene Thema Abtreibungen. Daher habe Romney Teaparty-Anhänger nur schwer begeistern können.

"Die Demokraten hingegen können auf viele arbeitende Wähler zählen, die ein persönliches Interesse am Ausgang der Wahl haben", führte Mitchell aus. Obama hat einem Bericht zu Folge mehr als die Hälfte seines Wahlkampfbudgets von Anhängern eingesammelt, die jeweils weniger als 200 US-Dollar gespendet haben.

"Die Republikaner sollten schwarze Radiosender hören", feixte eine afroamerikanische Anwältin, die heise online in Washington, DC, getroffen hat, "Dort wurde seit Wochen die Parole ausgegeben: Vote early! Vote early. Vote early!" (Gebt Eure Stimme schon vor dem eigentlichen Wahltag ab!) Obama selbst unterstrich das mit einem frühen Gang zu Urne. "Wenn der Präsident es kann, dann auch Du!", lautete eine Parole. "Die Republikaner können am Wahltag allerlei Tricks auspacken. Aber zwei Wochen lang schaffen sie das nicht", meinte die demokratisch gesinnte Juristin. In Washington, DC, sind Republikaner rar. Über 91 Prozent aller Stimmen entfielen dort auf den amtierenden Präsidenten.

Der mit 29 Wahlmännerstimmen wichtigste Swing State ist Florida. Dort hatte das republikanisch dominierte Staatsparlament die Frühwahlperiode von 14 auf acht Tage reduziert. Mehrere andere Erschwernisse hatte das Verfassungsgericht aufgehoben. Am eigentlichen Wahltag, dem 6. November, mussten viele Wähler stundenlang in der Schlange stehen, bevor sie ihre Stimme abgeben durften. Berichte sprechen von bis zu sieben Stunden.

Abstimmungen über juristisch-wortreiche Verfassungsklauseln sorgten für bis zu zwölf Seiten (!) lange Stimmzettel. Diese wurden vor Ort gedruckt, was pro Wähler länger als eine Minute dauerte – Papierstaus nicht mitgerechnet. "Viele Anhänger der Teaparty waren nicht mit ganzem Herzen für Romney. Sie haben solch Mühsal daher seltener in Kauf genommen, als überzeugte demokratische Wähler", glaubt Mitchell.

Auch drei Tage nach der Wahl gab es noch kein offizielles Endergebnis aus Florida. Sowohl Romney als auch Obama haben dort jeweils mehr als 4,1 Millionen Stimmen erhalten. Doch der Herausforderer lag im Endergebnis einige zehntausend Stimmen hinter dem Präsidenten, womit alle 29 Wahlmännerstimmen an Obama fallen. Mitchells Bumerang-Theorie ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Lage nach der US-Präsidentschaftswahl. Heise online trifft dazu in der US-Hauptstadt Washington, DC, Experten mit unterschiedlichen Einstellungen und Arbeitsgebieten. Bislang erschienen:

(jk)