Vorwurf: GPL-Verletzung durch proprietäre Linux-Erweiterung
Ein Linux-Entwickler hat RisingTide Systems vorgeworfen, mit ihrem Storage-Betriebssystem RTS OS die Lizenzbedingungen des Linux-Kernels zu verletzen. Dabei kommen auch Nvidias proprietäre Linux-Treiber und dadurch bedingte Abmahnungen zur Sprache.
Linux-Entwickler Andy Grover hat der Firma RisingTide Systems auf der Mailingliste der Kernel-Entwickler vorgeworfen, mit ihrem Storage-Betriebssystem RTS OS die Lizenzbedingungen des Linux-Kernels zu verletzen. Daraus ist eine Diskussion entstanden, in der bekannte Kernel-Entwickler, ein RisingTide-Mitarbeiter und ein juristischer Vertreter der Firma die Standpunkte erörtern; dabei kommen auch Nvidias proprietäre Linux-Grafiktreiber und dadurch bedingte Abmahnungen zur Sprache.
Andy Grover, der früher die ACPI-Unterstützung des Linux-Kernels betreut hat und jetzt bei Red Hat an der SCSI-Target-Unterstützung arbeitet, erläutert in seinem Vorwurf, die SCSI-Target-Implementation von RTS OS biete Funktionen, welche die aktuellen Kernel-Versionen beiliegende Target-Implementation LIO (Linux-Iscsi.org) nicht habe. Letztere stammt wie die in RTS OS von RisingTide Systems, denn das Unternehmen hat den Kernel-seitigen Code von LIO an die Linux-Entwickler gesandt, die ihn in Linux 2.6.38 integriert haben. Die Firma hat den Code im Linux-Kernel seitdem gepflegt und erheblich erweitert. In seinem RTS OS setzt die Firma allerdings eine verbesserte Version ein; die für den größeren Funktionsumfang zuständigen Quellcode-Erweiterungen hält das Unternehmen teilweise unter Verschluss.
Ob letzteres rechtens ist, zweifeln Grover und einige Kernel-Entwickler in der Diskussion an. Sie argumentieren, der Code sei auf andere Funktionen des Linux-Kernels angewiesen und speziell für diesen geschrieben – daher sei er ein abgeleitetes Werk ("derivative work"), für das die Bestimmungen der GPL 2.0 gelten, unter der der Linux-Kernel steht. Ginge es um eine alleinstehende Anwendung, wäre das Vorgehen von RisingTide Systems wahrscheinlich kein Problem, denn solange die Firma das alleinige Copyright an unter der GPL 2.0 stehendem Quellcode hat, kann sie den Quellcode und die damit gebaute Software auch unter anderen Lizenzen vertreiben. Laut Nicholas A. Bellinger, der das LIO-Target im Kernel betreut und RisingTide Systems mitbegründet hat, halte die Firma das alleinige Copyright.
Der Jurist Lawrence Rosen, der laut eigener Aussage RisingTide Systems in der Sache berät, führt in einer Mail unter anderem an, der Target-Code von Linux sei kein abgeleitetes Werk, bloß weil es die API von Linux nutze; das habe unter anderem der Rechtsstreit zwischen Oracle und Google gezeigt. Dave Airlie, der das wichtigste Grafiktreibersubsystem im Linux-Kernel betreut, führt in einer Mail allerdings an, dass die GPL greife, wenn RisingTide Systems die verbesserte Target-Implementation kombiniert mit dem Kernel ausliefert. Das ist bei RTS OS offenbar der Fall. In dieser und einer weiteren Mail führt Airlie als Vergleich die proprietären Linux-Grafiktreiber von Nvidia an. Es sei schwer zu argumentieren, dass diese ein "abgeleitetes Werk" seien, weil sie viel für Windows entwickelten Treiber-Code enthalten. Nvidia liefere seine Treiber aber gerade nicht zusammen mit einem Linux-Kernel aus; Distributionen, die solch ein Bündel geschnürt haben, hätten Abmahnungen erhalten.
Airlie, Grover und andere an der Diskussion beteiligte Kernel-Größen wie Theodore 'tytso' Ts'o oder Alan Cox sind allerdings keine Juristen, wie einige von ihnen in ihren Diskussionsbeiträgen explizit betonen. Es wird sich zeigen müssen, ob irgendjemand jetzt Juristen einschaltet, um die Problematik zu klären. Eine Lösung oder Entscheidung entsteht dann allerdings möglicherweise hinter verschlossenen Türen oder vor Gericht – aller Wahrscheinlichkeit aber nicht auf der öffentlichen Liste der Kernel-Entwickler. (thl)