Medizintechnik: mündige Patienten, mobile Health, unsichere Apps

Nutzerorientierung ist 2012 das Zauberwort in der Medizintechnik: Ärzten, Pflegepersonal und Patienten soll das digitalisierte Leben einfach gemacht werden - in den Grenzen des deutschen Gesundheitsystems und nach den Maßgaben des deutschen Datenschutzes.

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Von
  • Detlef Borchers

Nutzerorientierung ist das Zauberwort des Jahres 2012 in der Medizintechnik: Ärzte, Pflegepersonal und Patienten soll das digitalisierte Leben so einfach wie möglich gemacht werden – in den Grenzen des deutschen Gesundheitssystems und nach den Maßgaben des deutschen Datenschutzes. Mit 4500 Ausstellern, darunter 400 aus der IT-Branche, zeigt die Medica in Düsseldorf bis zum Samstag die neuesten Trends in der Medizintechnik.

Nach einer vom Bitkom in Auftrag gegebenen Studie des Fraunhofer ISI könnte ein intelligentes Gesundheitsnetz jährliche Wachstumsimpulse von 2,6 Milliarden Euro generieren. Besonders die Betreuung von rund 20 Millionen chronisch Kranken (Diabetikern, Herzinsuffizienz-Patienten etc.) durch Telemonitoring könnte helfen, etwas von den 80 Milliarden Euro einzusparen, die derzeit jährlich für chronisch Kranke ausgegeben werden. Eine zentrale Rolle sollen dabei Smartphones und Apps spielen, die mit entsprechenden Sensoren die wichtigsten Gesundheitsparameter messen und übertragen.

Besucherandrang auf der Medica

(Bild: Messe Düsseldorf)

Erstmals leistet sich die Medica darum einen AppCircus und vergibt einen Talent-Award für App-Entwickler: Nur wenn der Patient die App auch will und als mündiger Bürger täglich nutzt, ist Telemonitoring sinnvoll. Zwar ist der AppCircus im Internet noch schwach bestückt, doch auf der Messe gibt es viele Stände, auf denen das Smartphone gezückt wird. Entwickler berichten verzückt vom trendigen mobilen Nutzern, die täglich hunderte von Meßwerten einspeisen und damit "Big Data" am eigenen Körper praktizieren. Fragt man allerdings nach, wie die Messdaten auf den Telefonen verschlüsselt gesichert sind oder ob sie auf sicheren Kanälen zum Telemetriezentrum übertragen werden, ist Schweigen im Walde: mHealth steht ganz am Anfang eines Weges, um den sich die 19 deutschen Datenschutzbehörden noch kümmern müssen.

Tablets und Apps sollen auch in der Arztpraxis und im Krankenhaus eine Rolle spielen, doch hier gelten andere Maßstäbe. So stellt die Entscheiderfabrik auf der Medica ihre "Evaluation von mobilen Endgeräten für den Einsatz bei mobiler Visite, bei Pflege und in anderen Szenarien" vor, die im Auftrag verschiedener Klinik-Ketten erarbeitet wurde. Ein bemerkenswertes Detail der Studie ist die eindeutige Ablehnung des iPads im Krankenhaus durch alle Beteiligten, weil die schicke Apple-Technik anders als spezialisierte Tablet-PC nicht mit den strengen hygienischen Richtlinien konform geht. Aus diesem Grunde gibt es auch erhebliche Bedenken bei unterstützenden Apps auf Smartphones. Können die Geräte nicht angemessen sterilisiert werden, scheiden sie für den Klinik-Einsatz aus. Ganz anders sieht es übrigens beim Nutzen von Smartphones im WLAN aus, das früher als Teufelszeug in Kliniken untersagt wurde. Am Stand von Fraunhofer IPMS läuft eine Live-Präsentation, wie sich Patienten mit ihrem Smartphone in großen Kliniken orientieren können.

Zur Eröffnung der Medica betonte Marlies Bredehorst, nordrhein-westfälische Staatssekretärin des Ministeriums für "Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter", dass bei allen Projekten die Nutzerorientierung "unabhängig von Bildung und kognitiven Fähigkeiten" oberste Priorität habe. alle Beteiligten der anschließenden Podiumsdiskussion stimmten ihr zu, setzten aber unterschiedliche Akzente. So schwärmte Bernhard Calmer vom Bundesverband der Gesundheits-IT von den USA, wo Ärzte durch eine mTAN Zugriff auf Patientenakten bekommen. Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland-Hamburg betonte, dass Krankenkassen kein Interesse hätten, mehr Daten zu bekommen, als sie heute schon bekommen: "Es gibt keine riesigen Server im Pentagon oder sonstwo", sagte er an die Adresse der Kritiker am Projekt elektronische Gesundheitskarte gerichtet, die anders als auf früheren Medicas abwesend waren. Abschließend gab es ordentlich Schelte für den föderalen deutschen Datenschutz. Offenbar ist vergessen, dass Thilo Weichert, einer der härtesten deutschen Datenschützer, der Gesundheitskarte seinen ausdrücklichen Segen gegeben hat, und zwar bereits im Jahre 2008.

Im Jahre 2012 ist die elektronische Gesundheitskarte nichts anderes als eine teure Version der alten Krankenversicherungskarte. Der erste Schritt, die Stammdaten des Versicherten online zu aktualisieren, könnte frühestens 2014 erfolgen. Dazu müssen alle Arztpraxen über einen Konnektor online geschaltet sein. Ärzte, die sich dem Projekt verweigern, sollen einen einfacheren separaten Konnektor nur für die Stammdatenprüfung und -Aktualisierung bekommen, so der Tenor auf der Medica. Zehn Monate später sollen dann alle Ärzte per Gesetz über eine qualifizierte Signatur verfügen und mit anderen Ärzten per e-Arztbrief kommunizieren, aber auch für Patienten ansprechbar sein.

Wer anno 2012 die Standesvertreter oder die Lobbyisten vom Bitkom und andere Beteiligten fragt, warum nicht die rechtlich fixierte De-Mail bei der Kommunikation zwischen Arzt und Arzt oder Arzt und Patient genutzt wird, erntet serielle Ablehnungen. Ärzte bemängeln hohe Kosten, weil die entsprechenden Mail-Gateways richtig teuer sind. Kassen bemängeln die konkludente Zugangseröffnung durch den Versicherten, dass er per De-Mail erreichbar ist und diese Mail akzeptiert. Niemand will im Gesundheitswesen etwas mit diesem Leuchtturm-Projekt des Bundes zu tun haben: Not invented here. Genau eine Firma zeigt auf der Medica (mit Unterstützung des De-Mail-Anbieters Deutsche Telekom), wie De-Mail bei Sanitätshäusern zur Abrechnung von Verordnungen eingesetzt werden kann. (jk)