Alzheimer früher erkennen

Neue Analyseverfahren zeigen die Alzheimersche Krankheit schon Jahre vor ihrem eigentlichen Ausbruch. Zu diesem Zeitpunkt könnten Medikamente sie noch bremsen – und es ist noch Zeit, das Leben zu ordnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nike Heinen

Neue Analyseverfahren zeigen die Alzheimersche Krankheit schon Jahre vor ihrem eigentlichen Ausbruch. Zu diesem Zeitpunkt könnten Medikamente sie noch bremsen – und es ist noch Zeit, das Leben zu ordnen.

Es sind nur ein paar graue Schatten, wenige Pixel auf dem Bildschirm. Ein kleines Areal, fast nicht zu sehen und doch groß genug, um zu erkennen, wie es dem Patienten geht. Das verräterische Bild entstammt einem Magnetresonanztomografen (MRT). Und der Mann, der die Schatten zum Sprechen bringt, heißt Lothar Spies. Dafür hat der Hamburger Physiker eine ebenso revolutionäre wie auf den ersten Blick einfache Software entwickelt: Sie übersetzt die mitunter diffusen Schwarz-Weiß-Werte des MRT in ein übersichtliches Diagramm – und das verrät ihm, ob ein Mensch innerhalb der nächsten fünf Jahre an Alzheimer erkrankt. Die Trefferwahrscheinlichkeit liegt bei erstaunlichen 90 Prozent, weit genauer als jede bisherige Untersuchungsmethode. Entsprechende Studienergebnisse veröffentlichte Spies in diesem Jahr. Für das Gehirn, dessen Aufnahme Spies gerade vor sich hat, stehen die Vorzeichen leider nicht gut: Das große Vergessen deutet sich an.

MRT-Aufnahmen, die das Gehirn detailliert vermessen, gehören bereits zum medizinischen Standard. Doch sie allein verraten noch nicht, ob ein Patient sein Erinnerungsvermögen einbüßen wird. Daher bekommen die meisten Patienten ihre Diagnose bis heute erst in einem fortgeschrittenen Stadium – dann, wenn sie sich schon nicht mehr um sich selber kümmern können. Spies’ Methode nährt nun zwei große Hoffnungen: Dass erstens gesunde, aber vergessliche Menschen die Gewissheit bekommen, nicht an der Krankheit zu leiden. Und zweitens, dass sich die Demenz so weit vor ihrem Ausbruch feststellen lässt, dass neue Behandlungsmöglichkeiten oder vielleicht sogar vorbeugende Therapien möglich werden.

Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gibt es in Deutschland jedes Jahr rund 200000 Neuerkrankungen. Insgesamt leiden in Deutschland zurzeit etwa 950000 Menschen an Alzheimer. Zwei Drittel der Erkrankten sind über 80 Jahre alt, 98 Prozent über 65 Jahre alt. 70 Prozent der Patienten sind weiblich. Von ersten eindeutigen Zeichen des geistigen Verfalls bis zum Tod der Patienten vergehen fünf bis zehn Jahre – eine Heilung gibt es nicht. Das Leiden beginnt mit kleinen Vergesslichkeiten und endet binnen weniger Jahre mit dem kompletten geistigen Verfall. Die Kranken verstehen die Welt nicht mehr, können sich nicht mehr selber helfen, viele verlieren sogar ihre Sprache. Vor allem verstehen sie Konzepte nicht mehr, weil das Abgleichen der Wahrnehmungen mit den gespeicherten Erfahrungen und Interpretationsvorlagen nicht mehr funktioniert.

Auf der Station P1 der psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) werden solche Fälle notfallmäßig behandelt, zum Beispiel eine Frau in rosa Frotteejacke, die vor der weißen Wand am Ende des Flures steht. Mal steht sie ganz still, wie eingefroren, mal tritt sie unruhig auf und ab, aber nie wendet sie den Blick von den Wänden. „Kommen Sie mit uns zum Frühstück, Frau Schulz?“, fragt eine Schwester freundlich und tippt sie am Arm. „Schluss“, sagt die Frau in Kleinkindsprache, „hier Schluss“, und trippelt wieder auf der Stelle. „Ach so“, sagt die Pflegerin. „Ich dreh Sie mal um. So. Hier ist der Flur wieder, sehen Sie? Er war die ganze Zeit hinter Ihnen. Sie müssen sich nur umdrehen.“ (vsz)