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Was war. Was wird.

Die Kälte dringt noch in die letzte Ecke: Kein Wunder, dass alle Schaltkreise lahmzuliegen scheinen. Die Bewohner dieser Welt als verdrahtete Cyborgs, das ist keine Zukunftsvision, schlottert Hal Faber heraus.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es war kalt. Bitterkalt. Der Wind pfiff eisesscharf um die kahlen Bäume und die grauen Häuserecken in der schönsten Stadt der Welt in dieser kalten norddeutschen Tiefebene. Da half kein Schal und kein Kapuzenpulli, was die allseits beliebten gefühlten Temperaturen auslösten, habe ich jetzt auszubaden. Rotzend, hustend und schniefend sitze ich am Rechner, darauf achtend, keinen Schleim in die Tastatur tropfen zu lassen: Hach, 2007 abgehackt und 2008 wird umso toller? Das kann ja wirklich fein werden, aber nix da, ich bin als freier Journalist noch am Bilanzieren und natürlich am Buchhalten, wie viele andere große, kleine und ganz kleine Unternehmer. 454 steuerpflichtige Texte habe ich 2007 geschrieben, da will das Finanzamt sein Scherflein sehen, Unternehmerlein. Für 1584 Euro Bahntickets gekauft? Die Frage des Kontrolleurs kenne ich von der letzten Prüfung der Bücher: Wieso muss ein Journalist so viel reisen? Es gibt doch das Internet und die Google News mit den Agenturmeldungen. Jaja, bei denen einer vom anderen abschreibt, bis Journalismus aussieht wie eine Runde stille Post, weil die Hälfte der Journalisten nicht mehr recherchiert und die andere Hälfte damit vollauf beschäftigt ist, bloggenden Kollegen zu bescheinigen, wie Scheiße sie sind. Da hat es der Mustang-Cabrio-Fahrer Hans Ulrich Kempski wohl richtig gemacht und sich verabschiedet von einer Welt, in der es seine Süddeutsche Zeitung nicht einmal schafft, den vollen Text seiner Reportage über Willy Brandt online zu stellen. Wer sklavisch dem Papier ergeben ist, wird auch den Journalismus einer längst untergegangenen Welt mühelos mit "(...)" kartätschen.

*** Was an den Zahlen weniger gefällt, sind die Inhalte: 293 Artikel zum Thema Bundestrojaner, zum Terrorkampf durch Datenschnüffelei und -Speicherung sind entschieden zuviel. Da verwandelt der Aufschwung das Land in blühende Landschaften komplett mit hübschen Korruptionsskandalen und ganz wunderbaren Bobos in Paradise im träumerisch-merkelischen Juste-Milieu – und ich schreibe, schreibe, schreibe über den alltäglichen Datensammelwahnsinn in Politik und Wirtschaft, etwa über die Totalprotokollierung der Telekommunikation. Damit gehöre ich wie überhaupt der ganze Heiseticker zu denen, die von der taz abgewatscht werden für ihre "maßlose Übertreibung", die angeblich dazu führt, oh welch Jammer, dass die Arbeit der Printjournalisten erschwert wird. Weil Informanten sich nicht mehr trauen und die armen, armen Journalisten nur noch Google haben und diese seltsame Wikipedia.

*** Doch wo Unrath güllt, ist das Rettende nah. In einem Sexbombenkommentar können auch die Rechtsexperten der pfotenfrommen Zeitung lesen, dass etwas stinkt beim Vater Staat, und dass es nicht die Geruchsspuren sind, die man beim Kampf gegen die besonders terroristische Vereinigung der G8-Gegner gesammelt hat. Die konnten immerhin noch mit rechtsstaatlichen Mitteln Beschwerde einlegen, was im Fall des staatlich angeordneten Afghanistan-Einsatzes einer Sanitätssoldatin schlichtweg verboten wurde. Der Staatsbürger in Uniform hat die Schnauze zu halten und für den Rest gilt: "Wenn man still ist, fährt man besser." Der Duckmäuserstaat wird dereinst als Erbe und Verdienst der Regierung Merkel erinnert werden, wenn die redende Wegsperre aus Hessen sich um die Nachfolge bewirbt.

*** Die Hacker haben getagt zu Berlin in dem Gebäude, dass auch bei den Polizisten als Veranstaltungsort so beliebt ist. Und sie haben ordentlich Kritik dafür bekommen, dass sie so normal und populistisch sind und kleinkariert obendrein. Pipifax soll es also sein, wenn der Verein vor überwachbaren Hörgeräten warnt, wird ein Informatik-Papst zitiert, dem Deutschland angeblich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verdanken soll. Leider gibt es aber drahtlose Doppel-Hörgeräte, die sich per Funk synchronisieren und mit einem WLAN-Sniffer "geohrt" werden können. Wir werden keine Cyborgs, wir sind längst Cyborgs, so der wichtigste Vortrag im schnuckeligen bcc am Alexanderplatz. Wir leben flüssige Identitäten in enger Symbiose mit unseren Laptops und Hörgeräten. Wer freut sich denn heute nicht, wenn er einen Flieger besteigen kann, in dem das Passagier-LAN mit dem Steuerungs-LAN gekoppelt ist. Störend am Cyborg-Leben allenfalls die Tatsache, dass keine Frauen mehr benötigt werden. Ich hätte da eher auf Informatik-Päpste getippt, die wirklich niemand braucht.

*** Weil wir eng verdrahtet mit unseren Geräten verbunden sind, merken wir schneller als andere, was los ist, wenn etwa die Polizei mit ihren wackligen Verdachtsmomenten auf digitale Spurensuche in der digitalen Intimsphäre geht. Je enger die Symbiose aller mit dem Computer ist, produziert die allgemeine Vernetzung einen Überschusssinn, der in einen Kontrollüberschuss mündet. Das behauptet mal kein depperter Informatiker, sondern ein Baecker (PDF-Datei), der den Computer nach Sprache, Schrift und Buchdruck als die epochale Erfindung der letzten 500 Jahre feiert. Um nichts Geringeres geht es in den nächsten Jahren als um die Entscheidung der ganzen Gesellschaft, in welcher Form sie an die Computer andockt, in welcher Art alle als Cyborgs funktionieren, ohne von der allgegenwärtigen Maschinenkontrolle platt gemacht zu werden. Flüssige Identitäten sind so auch Mittel gegen die Computer, die mit Flüssigkeiten ihre Probleme haben. Hat Schleim also auch sein Gutes, selbst wenn man ihn als gestandener Möchtegern-Cyborg ausrotzt, aushustet und ausschnieft?

Was wird.

Mit einem großen Auftritt auf der CES tritt Bill Gates morgen Abend ab, ganz im Stil der Start-Schaltfläche seines geliebten Betriebssystems. Auch Steve "Developers" Ballmer steht vor dem Abgang, doch ist es der "Visionär" Gates, dem feierliche Artikel gewidmet sind. Schließlich konnte er doch auf der CES so epochale Dinge wie die Benutzeroberfläche Microsoft Bob (1995) oder das Unterhaltungssystem Microsoft Mira (2002) präsentieren. Auf die Prognosen von Gates zur Zukunft des PC müssen wir uns noch ein bisschen gedulden, aber wozu haben wir einen Lumma oder, wenn es unbedingt ein Bob sein soll, den großen Bob und noch größeren Fefe? Und sonst so? Wie wäre es mit der Prognose, dass SCO nun zwar ein Tool für die Umstellung auf die Sommerzeit hat, es aber statt einer Umstellung eine endgültige Aus-Stellung geben wird? Doch warum trauern, wenn mit McAfee sich die nächste Firma daran macht, in ihrem Jahresbericht vor der böse Open Source zu warnen, die ein echter Gefährder für all die schönen Sicherheitsprodukte darstellt? Doch halt, ganz so schlimm ist es denn doch nicht, wenn russische Virenscanner anschlagen und melden, dass eine Online-Durchsuchung durchgeführt wird. Schweinchenrosige Aussichten also, dass der Stoff nicht ausgeht für Wochenschauen, Vorwarnungen und Nachrichten.

Dass geburtstagsfeiernden Cyworgs und Cyborgs die Visionen nicht ausgehen, zeigt die kommende Omnicard mit ihrer Beschreibung eines typischen Tages im Jahre 2020 in gewohnt furchtbarem Deutsch: "Smarte Objekte werden als unsere digitalen Bevollmächtigten gänzlich in unser Alltagsleben integriert sein, und auf diese Weise den Nutzern zusätzliche Vereinfachung und Bequemheit bringen. In dem sie den Nutzer zum Inhaber von Komplexität und Sicherheit machen, und in dem sie unsere Leben einfach leichter machen, werden smarte Objekte 2020 unangefochten sein." Schweinchenrosa, ich schrieb es bereits. Ist ein anderes Rot als das Blutrot über den Schlachtfeldern, wenn die Eule der Minerva losflattert. (Hal Faber) / (jk)