VDE: Umrüstung des Stromnetzes zum Smart Grid ist kein Kinderspiel

Die aktuelle Debatte über die Energiewende gehe zu einem großen Teil am Kern vorbei, die vielbeschworenen intelligenten Stromnetze könnten nicht von heute auf morgen erstellt werden, hieß es auf dem Hauptstadtforum des Elektrotechnikverbands.

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Der Elektrotechnikverband VDE warnt davor, die geplante und teils bereits in Angriff genommene Umrüstung des traditionellen Stromverbundnetzes zum dezentralen Smart Grid auf die leichte Schulter zu nehmen. Die vielbeschworenen intelligenten Stromnetze könnten nicht von heute auf morgen erstellt werden, betonte Ingo Wolff, Mitglied im Präsidiums des VDE, auf dem Hauptstadtforum der Vereinigung in Berlin. Es sei nicht damit getan, "noch ein paar tausend Meter Leitungen" zu legen beziehungsweise zu spannen. Im Hintergrund müssten vielmehr sehr diffizile und komplexe Lösungen geschaffen werden.

Die aktuelle Debatte über die Energiewende geht nach Ansicht des VDE zu einem großen Teil am Kern vorbei. Die zentrale Herausforderung laute: Umbau und Flexibilisierung des gesamten Systemdesigns mit den Elementen Ausbau der Netzinfrastruktur, der Speicherkapazitäten und des Kraftwerksparks. Das Herzstück müssten Smart Grids darstellen, um sämtliche Akteure auf dem Strommarkt durch das Zusammenspiel von Erzeugung, Speicherung, Netzmanagement und Verbrauch zu integrieren. Nach dem aktuellen deutschen Netzentwicklungsplan müssten dafür rund 8200 Trassenkilometer um- und ausgebaut werden. Bisher seien pro Jahr aber gerade einmal 20 Kilometer geschafft worden.

Jörg Benze, Arbeitsgruppenleiter beim VDE, skizzierte Energieinformationsnetze als Rückgrat des Smart Grids. Darunter verstehe man sämtliche Knotenpunkte, die für den Informationstransport im Telekommunikationssystem und zwischen den Teilnehmern beziehungsweise Betriebsmitteln des Automatisierungssystems verantwortlich seien, um das derzeit weitgehend passive Energieversorgungswesen aufzurüsten. Es handle sich also um eine Plattform für Anwendungen und Basisdienste sowie eine Software-Schnittstelle, die eine Interaktion mit dem Grid erlaube.

Derzeit sei das zentrales Kommunikationsmittel im europäischen Energieversorgungssystem die Netzfrequenz von 50 Hertz, führte Benze aus. Falle sie ab, sei dies ein klarer Hinweis für die angeschlossenen Erzeuger, dass sich die Nachfrage vergrößert habe und mehr Strom eingespeist werden müsse. Da bisher nur eine überschaubare Anzahl von Kraftwerken angeschlossen sei, biete dieses Bedarfsprofil eine ausreichende statistische Sicherheit.

Mit dem 21. Jahrhundert nehme die Anzahl kleiner Energie-Einspeiser aber zu, sodass mithilfe der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) ein dezentrales System unterstützt werden müsse, erklärte der T-Systems-Berater. Dieses müsse zugleich den "smarten Verbraucher" integrieren, der Lastspitzen zu vermeiden suche. Die Messlatte der Frequenz reiche daher zur Steuerung der Netze nicht mehr aus, da die Teilnehmer selbst untereinander hochgradig vernetzt werden müssten. Es sei ein neuer Lenkungsmechanismus zu finden, der weg von einer linearen Kette hin zu bidirektionalen Stromflüssen führe.

Benze zufolge kann Internet-Technick an diese Anforderungen angepasst werden und einen virtuellen Energie-Marktplatz schaffen. Die damit verknüpfte neue Netzstruktur erlaube es, jede Zelle einzeln zu betreiben und sie doch als Teil des Grids zu betrachten. Es sei also nicht das Ziel, autonome Inselnetze zu erzeugen, sondern ein großes Ganzes. Damit einhergehend stünden der Energiewirtschaft die Entwicklungen der IKT-Branche bevor. Der Wechsel von analog auf digital werde auch dort zu großen Veränderungen führen, in dem etwa virtuelle Kraftwerke mehr Raum einnähmen oder die Ästhetik einer App binnen weniger Sekunden über deren Nutzung entscheide. Insgesamt brächten Energieinformationsnetze so neue Geschäftsmodelle hervor.

Eric Badiqué von der Generaldirektion Kommunikationsnetzwerke, Inhalte und Technologie der EU-Kommission betonte, dass das Smart Grid eine wichtige Rolle für den verstärkten Einsatz erneuerbarer Technologien und das Erreichen der europäischen Stromsparziele spiele. Es müsse darum gehen, in Echtzeit die Nachfrage nach Energie zu befriedigen. Ohne IKT sei die Umstellung nicht zu schaffen. Über zehn Prozent des geplanten neuen Forschungsrahmenprogramms Horizon 2020, für das Brüssel insgesamt trotz Widerstand aus einigen Mitgliedsstaaten bis zu 80 Milliarden Euro bereitstellen wolle, seien daher allgemein für entsprechende Zukunftstechnologien vorgesehen.

Bei der anschließenden Verleihung der Preise der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE (ITG) für hervorragende Veröffentlichungen nahm das Grid-Thema zumindest bei einem der Ausgezeichneten ebenfalls viel Raum ein. Stephan Pachnicke von der Firma ADVA Optical Networking erhielt die Auszeichnung für sein Buch über das Design und den dynamischen Betrieb von Übertragungsnetzwerken. Bisher seien die Basisleitungen fürs Internet oder den Mobilfunk auf die Spitzenlast ausgelegt, die in der Regel in den frühen Abendstunden erreicht werde, konstatierte Pachnicke in seiner Dankesrede. Bei einem dynamischen Operationsmodus, für den er Möglichkeiten aufgezeigt habe, könnten die Betriebskosten dagegen erheblich sinken und Ressourcen eingespart werden. Das entsprechende Potenzial liege bei bis zu 50 Prozent weniger Aufwendungen in der Nacht. (jk)