Österreich: Parlamentarisches Hearing zur Vorratsdatenspeicherung hinter verschlossenen Türen

Seit Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung in Österreich sind 168 Vorratsdaten-Abfragen angefallen. Keine einzige dürfte in den Bereich der Terrorismusbekämpfung gefallen sein, obwohl die EU-Richtlinie für diesen Tatenbereich erlassen wurde.

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Mit der Vorratsdatenspeicherung und den Terrorgesetzen hat sich der Justizausschuss des österreichischen Nationalrats (1. Kammer des Parlaments, Anmerkung) am Dienstag befasst. Anlass war eine parlamentarische Bürgerinitiative mit über 106.000 Unterstützern. Sie fordern eine Evaluierung der österreichischen Terrorgesetze und dass sich die Bundesregierung in Brüssel für die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Die Anhörung am Dienstag fand allerdings hinter verschlossenen Türen statt. Und das Ergebnis zeugt von einem bedrückenden Selbstverständnis der Abgeordneten.

Die Pressedienst des Parlaments hat einen Bericht über die Sitzung des Justizausschusses verfasst. Demnach bedauerte der Vorsitzende des Justizausschusses, dass die Anhörung nicht öffentlich stattfinden könne. Er werde für künftige Fälle eine Änderung der Geschäftsordnung anregen. Warum es gar keine öffentliche Erörterung des Themas gab, etwa im Rahmen einer formellen Sitzungsunterbrechung, geht aus dem Text nicht hervor.

"Zum einen wird die totale Kontrolle der Bürger beschlossen, zum anderen werden Debatten darüber unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt. Das Gegenteil muss für alle Politiker das Ziel sein: Ein transparenter Staat statt gläserne Bürger", kritisierte der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser. "Eine Politik die Angst vor freien, selbstbestimmten und vernunftbegabten Bürgern hat, konterkariert die Idee der Demokratie."

Der Pressedienst des österreichischen Parlaments zitiert aus den kritischen Aussagen rund eines Dutzend geladener Experten. Nur Regierungsvertreter verteidigten die Vorratsdatenspeicherung, wie sie es derzeit auch vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) tun. Der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser fasst auf seiner Website so zusammen: "Der Vertreter des (Verkehrsministeriums) war schon froh, dass er zumindest sagen kann, dass die österreichische Umsetzung 'verfassungsrechtlich argumentierbar' ist. Das Justizministerium hat sich hingegen mit vollem Elan hinter die Richtlinie und die österreichische Umsetzung gestellt und will darüber diskutieren, ob auch bei Urheberrechtsverletzungen künftig Vorratsdaten herangezogen werden sollen."

Im Hearing wurden auch einige Zahlen genannt: Von Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung am 1. April bis Ende Oktober sind über die Clearingstelle des Verkehrsministeriums 168 Vorratsdaten-Abfragen gelaufen. Keine einzige dürfte in den Bereich der Terrorismusbekämpfung gefallen sein, obwohl die EU-Richtlinie für diesen Tatenbereich erlassen wurde. In drei der 168 Fälle ging es laut Verkehrsministerium um Mord, in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren Raub, in 20 um Stalking, in 16 um schweren Betrug, in 20 um Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz und in zehn um Vergewaltigungen. 19 Fälle seien inzwischen aufgeklärt, darunter sieben Stalkingfälle. Wieviele der geklärten Fälle ohne Vorratsdaten noch ungeklärt wären konnte der Beamte nicht sagen. Ein Mord sei aber jedenfalls dabei. In den ersten 27 Novembertagen habe es 20 weitere Abfragen gegeben.

Zusätzlich haben Beamte des Innenministeriums seit April neun mal zu Zwecken der Vorbeugung auf Vorratsdaten zugegriffen. Fünfmal wurde ein Handy-Standort abgefragt, viermal eine IP-Adresse. Erwischt wurde eine Person, die wiederholt auf fremde Kosten online eingekauft habe. Auch der Urheber einer Anleitung zur Anfertigung eines Bombengürtels konnte demnach eruiert werden.

Der Grüne Justizsprecher Steinhauser sprach sich nach dem Hearing für eine Vertagung aus, um in Ruhe eine gemeinsame österreichische Position ausarbeiten zu können. Diese solle dann geschlossen auf EU-Ebene vertreten werden. Dieser Vorschlag fand im Justizausschuss aber keine Mehrheit. Es kam auch weder zu einer allgemeinen Aufforderung an die Bundesregierung, sich in EU-Gremien gegen die Vorratsdatenspeicherung einzusetzen, noch zu einem Auftrag zur Evaluierung der österreichischen Terrorgesetze. Der SPÖ-Abgeordnete Johann Maier versprach später in einer Aussendung: "Die Gespräche und Verhandlungen zwischen den Parlamentsparteien werden fortgesetzt." Laut Steinhauser wird das Thema nächste Woche erneut im Hohen Haus diskutiert.

Der Justizausschuss nahm die Bürgerinitiative einstimmig zur Kenntnis und verfasste gegen die Stimmen der Grünen einen unverbindlichen Entschließungsantrag: "Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden ersucht, dem Nationalrat raschest möglich nach Vorliegen der Ergebnisse der anhängigen Verfahren vor dem EuGH (und) dem VfGH dem Nationalrat die legistischen Maßnahmen vorzulegen, die notwendig sind, um diesen Erkenntnissen zu entsprechen, wobei auf den Aspekt der Datensicherheit von Vorratsdaten, insbesondere der Verhinderung des unberechtigten Zugriffs auf gespeicherte Daten sowie der Kontrolle der Löschung dieser Daten besonderer Wert zu legen ist." Mit anderen Worten: Nicht einmal verpflichtende Gesetzesänderungen wollen die Abgeordneten selbst angehen. Die Minister sollen das dann, bitte, vorformulieren.

Die Diskussion im Ausschuss habe sowohl die geäußerte Kritik, als auch weitgehend die Anliegen der BürgerInnen ignoriert, kritisierte die Bürgerinitiative. Der Beschluss zeige, dass auch die SPÖ für die Vorratsdatenspeicherung sei. "Unser Ziel bleibt weiterhin die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich und Europa, sowie eine klare Positionierung Österreichs zur Abschaffung der Vorratsdaten-Richtlinie", sagte Andreas Krisch vom österreichischen Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. (jk)