Bundestag soll massive Überwachung der Telekommunikation absegnen

Der Rechtsausschuss des Parlaments hat sich gegen die Stimmen der Opposition für den Antrag der Großen Koalition zur sechsmonatigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten ausgesprochen.

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Der Rechtsausschuss des Bundestags hat sich am heutigen Mittwoch für den Antrag der Großen Koalition zur sechsmonatigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten ausgesprochen. Mit dem Antrag (PDF-Datei) wollen CDU/CSU und SPD die Bundesregierung auffordern, die Vorgaben aus Brüssel zur Aufzeichnung der elektronischen Nutzerspuren "mit Augenmaß" und in den "Mindestanforderungen" umzusetzen. Nichtsdestoweniger droht mit der Vorratsdatenspeicherung die Unschuldvermutung im Strafrecht ausgehebelt zu werden, da die Verbindungs- und Standortdaten aller Bürger pauschal gespeichert werden sollen. Sicherheitsbehörden zugänglich machen will die Große Koalition die Datenberge zudem im Einklang mit den Wünschen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries nicht nur für "erheblicher Straftaten", wie es die entsprechende EU-Richtlinie vorsieht. Einblicke nehmen sollen die Ermittler gemäß dem Antrag auch bei Delikten, die "mittels Telekommunikation" begangen wurden.

Vertreter der Großen Koalition begründeten ihre Haltung damit, dass der zwischen EU-Parlament und EU-Rat gefundene Kompromiss von Anfang Dezember alle wichtigen Forderungen Deutschlands beinhalte. Sie bescheinigten dem Justizministerium, in Brüssel "klug" verhandelt zu haben. Der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten komme gerade in Zeiten großer terroristischer Bedrohungen prinzipiell eine hohe Bedeutung zu, sodass den Sicherheitsbehörden das neue Ermittlungsinstrument nicht versagt werden dürfe. Die SPD wies die Regierung ergänzend darauf hin, dass das nun sichere Plazet des Parlaments nach der Plenardebatte am morgigen Donnerstag nicht als "Einfallstor" für eine Ausweitung der pauschalen Überwachungsmaßnahme fungieren dürfe.

Die Oppositionsparteien stimmten geschlossen gegen den Antrag. Sie kritisierten den Brüsseler Richtlinienentwurf, der Anfang kommender Woche von den Justiz- und Innenministern der EU-Mitgliedsstaaten beschlossen werden soll, als viel zu weitgehend. Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von einer "grundlegend falschen Weichenstellung". Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, warnte vor einem umfassenden Paradigmenwechsel. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass sich der Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach und einstimmig gegen eine ausufernde Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen habe. Genau eine solche sei nun von der Direktive vorgesehen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass das Brüsseler Machwerk auch noch von der Koalition gelobt werde.

Montag kritisierte, dass Privatfirmen verpflichtet würden, Daten, die sie gar nicht oder zumindest nicht so lange benötigten, für mindestens sechs Monate zu speichern, nur um einen staatlichen Zugriff darauf sicherzustellen. Das sei mit dem Datenschutz völlig unvereinbar und offenbar auch verfassungswidrig. Einen Antrag der Grünen zur "Freiheit des Telefonverkehrs vor Zwangsspeicherungen" ließen die Mitglieder der Großen Koalition dennoch im Ausschuss genauso durchfallen wie ein vergleichbares Papier der Liberalen "gegen eine europaweit verpflichtende Vorratsdatenspeicherung". Kritik übt auch Montags für Medienpolitik zuständigen Kollegin Grietje Bettin an der "Umfallerei" der Koalitionsfraktionen: Durch die neue Verpflichtung verkommen ihrer Ansicht nach "alle Bürger zum ständigen Beobachtungsobjekt". Weil sich vor allem im Internet die Inhalte nicht völlig von den Verbindungsdaten trennen lassen, könnten etwa auch Informationen über angesurfte Webseiten erfasst werden. Die Folge sei, dass "nicht nur Bewegungsprofile in den Fokus geraten, sondern auch Lebensgewohnheiten".

Verschiedene Organisationen der Zivilgesellschaft hatten vergangene Woche noch einmal Druck auf die Abgeordneten ausgeübt, eine Umsetzung der Richtlinie komplett zurückzuweisen oder den Koalitionsantrag zumindest noch bürgerrechtsfreundlicher zu gestalten. Die Datenschutzinitiative Stop1984 etwa beklagte insbesondere, dass mit dem Einschluss aller via Telekommunikation verübten Straftaten Ermittler künftig selbst bei Bagatelldelikten im Internet in den Datenhalden schnüffeln dürften. Ein knappes Dutzend anderer Bürgerrechtsvertreter hatte sich dafür stark gemacht, Geheimdiensten Einblicke in die Nutzerdaten zu verwehren und kleine Provider von den Speicherverpflichtungen auszunehmen. Wirtschaftsverbände wie der Bitkom oder der BDI, die im Vorfeld der Brüsseler Entscheidung immer wieder grundlegende Bedenken gegen eine verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung vorgebracht hatten, unterstützen dagegen mittlerweile die Umsetzungspläne der Koalition. Sie begrüßen vor allem, dass darin eine Entschädigung der betroffenen Unternehmen für die Mithilfe bei der Überwachung vorgesehen ist.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (jk)