Ex-Justizministerin: Schwarz-Rot probt verfassungspolitischen Aufstand

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat schwere Vorwürfe gegen die Innenpolitik der großen Koalition erhoben, mit der das informationelle Selbstbestimmungsrecht ausgehebelt und ein autoritärer Staat eingeführt werde.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat schwere Vorwürfe gegen Schwarz-Rot erhoben. Mit der Innenpolitik der großen Koalition und dem "Schäuble-Katalog" soll der Ex-Bundesjustizministerin zufolge letztlich das informationelle Selbstbestimmungsrecht ausgehebelt und ein autoritärer Staat eingeführt werden. "Erkennbar wird hier mit der Furcht vor Terrorismus im Rücken der verfassungspolitische Aufstand geprobt", sagte die Bundestagsabgeordnete am gestrigen Montag auf dem 8. Datenschutzkongress von Euroforum und Handelsblatt in Berlin. Zu Fall kommen solle "eine ihrer Idee nach freiheitliche Gesellschaftsordnung, wie sie die Eltern des Grundgesetzes in der Tradition John Lockes, Charles de Montesquieus und der europäischen Aufklärung vor Augen hatten. Sie soll durch eine leviathanische Ordnung im Sinne von Thomas Hobbes ersetzt werden, in der ein autoritärer, von allen freiheitssichernden und machtbeschränkenden Regelungen der Verfassung enthemmter Staat über den Ausnahmezustand entscheidet".

In ihrer Analyse der Sicherheitspolitik unter dem Motto "Grenzen der Freiheit und das Unbehagen an der Überwachung" stellte die Liberale zunächst fest, dass "von der Politik schon seit Jahren – und nun in einer geradezu exzessiven Weise – die grundgesetzlichen Barrieren gegen Grundrechtseingriffe systematisch geschleift werden". Dies beziehe sich "auch und gerade" auf das Kernprinzip des Datenschutzes in der Verfassung, das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Die deutsche Regierungspolitik scheine die Verfassung "nur noch als Gefängnis zu begreifen, das einer beanspruchten unumschränkten Allmacht des Staates entgegensteht und aus dem es nun auszubrechen gilt".

Weiter konstatierte Leutheusser-Schnarrenberger, dass "gerade die federführend vom Justiz- oder Innenministerium selbst erarbeiteten Gesetze immer häufiger gravierende verfassungsrechtliche Mängel aufweisen". Dies sei besonders prekär, da diesen eigentlich als "Verfassungsministerien" eine besondere Bedeutung bei der Wahrung des Grundgesetzes zukomme. Unter dem Hinweis etwa auf die Karlsruher Grundsatzurteile zum großen Lauschangriff, zu den Befugnissen des Zollkriminalamtes zur heimlichen Überwachung des Brief- und Telefonverkehrs, zum niedersächsische Polizeiaufgabengesetz, zu Rasterfahndungen oder zum Luftsicherheitsgesetz führte die FDP-Politikerin aus, dass hier "reihenweise" Vorstöße ganz oder in ihren wesentlichen Teile vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt würden.

"Da ich aus meiner eigener Ministererfahrung weiß, dass dies nicht auf mangelnden Sachverstand der Ministerialbeamten zurückzuführen ist, muss dahinter System, muss dahinter ein politischer Wille vermutet werden", konstatierte die bayerische Abgeordnete. "Ein politischer Wille, der generell auf den Versuch hinausläuft, das bislang halbwegs ausbalancierte Verhältnis von Freiheit und Sicherheit radikal zu Gunsten der Sicherheit, zu Lasten der Freiheit zu verschieben."

Neben diesem jetzt schon bestehenden "verfassungspolitischen Desaster" sei nun "eine ganze Kaskade weiterer Gesetze mit dem Ziel einer Ausweitung staatlicher Überwachungsbefugnisse in Arbeit". Als Beispiele für die weiter verfolgte "strafrechtliche Aufrüstungspolitik" nannte Leutheusser-Schnarrenberger etwa die Novelle der Telekommunikationsüberwachung mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die Neuregelung der akustischen Wohnraumüberwachung mit dem von der Union bevorzugten "Richterband", die Ermächtigung des Bundeskriminalamtes zur präventiven bundesweiten Rasterfahndung und Online-Durchsuchungen, die Novelle des Zollfahndungsdienstgesetzes sowie die Änderungen des Pass- und Mautgesetzes.

Die Stoßrichtung hinter diesen Entwürfen verdeutlichte sich für die Ex-Ministerin mit zwei Äußerungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble aus jüngster Zeit. So habe der CDU-Politiker erkennbar mit seiner "anmaßenden Warnung", dass "der Grundrechtsschutz in der Alltagswirklichkeit praktikabel bleiben müsse" auf die Rechtsprechung aus Karlsruhe zum großen Lauschangriff und dem darin verankerten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung abgezielt. Hier habe das Bundesverfassungsgericht eigentlich ein "absolutes Überwachungsverbot" im Fall einer wahrscheinlichen Erfassung kernbereichsrelevanter Gespräche aufgestellt. Dieses sei aber bereits im Rahmen des Versuchs der Umsetzung der Vorgaben aus Karlsruhe durch Rot-Grün weggewischt worden.

Nun soll gemäß den Regierungsentwürfen zur Neufassung der TK-Überwachung und der Befugnisse des Zollkriminalamts die Bestimmung gelten, dass das Abhören von Telefongesprächen nur dann unzulässig sein soll, wenn "allein" Kenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst würden. Eine Formulierung, die für Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer "rabulistischen Qualität schlechterdings nicht mehr zu überbieten" ist. Denn damit würde "das Interesse der Sicherheitsbehörden zum alleinigen Kriterium, das über die Zulässigkeit einer in jedem Falle tief in die Grundrechte eingreifenden Überwachung entscheidet". Dieses Verfahren solle zudem als Modell herhalten, mit dem die Regierung aller Voraussicht nach auch heimliche Online-Durchsuchungen privater PCs gesetzlich neu gestalten und die Bestimmungen aus Karlsruhe damit "in Banalität auflösen" wolle.

Als nicht weniger prekär empfindet die FDP-Innenpolitikerin den Ausdruck Schäubles, wonach "der Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht für die Gefahrenabwehr gelten" könne. Unverkennbar ziele dieser auf den Kerngedanken, dass "der Einzelne grundsätzlich selbst entscheiden können muss, welche persönlichen Daten und Informationen er wem zur Einsicht gibt oder zur Verfügung stellt". Es widerspreche demnach dem grundgesetzlichen Menschenwürde-Achtungsgebot, falls der Staat die Bürger ohne konkrete Anhaltspunkte als potenzielle Straftäter behandeln würde. Genau so solle es mit den geplanten Regelungen zur Rasterfahndung, zur Vorratsdatenspeicherung oder zur Aufnahme biometrischer Merkmale in Ausweisdokumente aber geschehen. Die Unschuldsvermutung sei "konstitutive Bedingung des Gesellschaftsvertrages, den wir als grundsätzlich freie Bürger mit dem Staat geschlossen haben". Wer ihre Anwendbarkeit verneine, "der verlässt den Boden dieses Vertrages und den der Verfassung gleichermaßen."

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)