50 Jahre (D)ARPA

Aus der ARPA ging unter anderem die NASA hervor; sie entwickelte die Messmethoden zur weltweiten Aufspürung von Atombombentests. Das Navigationssystem GPS ist ein ARPA-Baby. Und natürlich darf das Internet nicht vergessen werden, das als ARPAnet begann.

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Von
  • Detlef Borchers

Am heutigen 7. Februar vor 50 Jahren wurde mit dem Befehl 5105.15 des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums "The Advanced Research Projects Agency" (ARPA) gegründet, eine der einflussreichsten Forschungsgesellschaften der Welt. Aus der ARPA ging später die NASA hervor und mit ihr die bemannte Weltraumfahrt. Die ARPA entwickelte die Messmethoden, mit denen jeder Atombombentest weltweit aufgespürt werden konnte. Das GPS mit dem unsere Navigationssysteme ihre Position bestimmen, ist ein ARPA-Baby. Und natürlich darf das Internet nicht vergessen werden, das als ARPAnet begann.

Die ARPA (ab 23.3.1972 DARPA; ab 22.2.1993 ARPA; ab 22.2.1996 durch Staatsgesetz 104-106 wieder DARPA) ist eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung mit mythischen Dimensionen. Allgemein wird ihre Existenz mit dem Sputnik-Schock begründet. Am 4. Oktober 1957 schoss die Sowjetunion den ersten künstlichen Satelliten, den Sputnik, in eine Erdumlaufbahn. Amerika war geschockt, und Präsident Eisenhower kündigte sofortige Konsequenzen an. Einen Monat später versprach er den Aufbau eines umfassenden Forschungsprogrammes. Am 7. Januar 1958 verlangte er ultimativ vom Kongress die sofortige Freigabe von 520 Millionen Dollar für ein Forschungsprogramm, das insgesamt mit 2 Milliarden ausgestattet werden sollte. Zwei Tage später sprach er in seiner Rede zur Lage der Nation davon, die Sowjetunion einholen zu wollen und erwähnte erstmals die ARPA namentlich. Die zeitliche Abfolge suggeriert, dass die ARPA in Reaktion auf den Sputnik entstand.

Dies darf man im Licht neuer historischer Forschungen allerdings getrost als Mythos abtun. Der piepsende Satellit war für eine Gruppe von einflussreichen Planern um Vannevar Bush, James Covenant und James Kilian nur eine hervorragende Gelegenheit, schneller die Forschungsagentur ins Leben zu rufen, die gegen die Sowjetunion antreten sollte – und die sie seit Langem planten. Bereits 1950 hatten sich Bush, Covenant und Kilian besorgt darüber geäußert, dass die amerikanischen Studenten die falschen Fächer studierten. 7,8 Millionen heimgekehrte Weltkriegssoldaten machten von der sogenannte "G.I. Bill" Gebrauch und studierten vor allem geisteswissenschaftliche und ökonomische Fächer. Mit harten Wissenschaften, gar mit der Rüstungsforschung selbst, wollten die Heimkehrer nichts zu tun haben.

Um den Ernst der Entwicklung zu verdeutlichen, gab besagter James Covenant, damals Leiter des National Science Bureaus, eine Studie bei Nicholas De Witt von der Universität Harvard in Auftrag. De Witt untersuchte 1954 das sowjetrussische Universitätssystem und veröffentlichte 1955 seine alarmierenden Ergebnisse, dass amerikanische Universitäten den falschen Nachwuchs produzieren: "Wir verlieren den neuen Krieg. Wir verlieren ihn, weil wir im Rennen verloren haben, mehr und bessere Ingenieure und Wissenschaftler zu produzieren als die Kommunisten." Mit Ergebnissen dieser Studie bewaffnet, leistete James Kilian, Präsident des Massachusetts Institute of Science (MIT), die Lobbyarbeit und sorgte als Wissenschaftsberater des Präsidenten Eisenhower dafür, dass eine Agentur für Spitzenforschung aufgebaut wurde. Nach dem Flug des ersten Sputniks wurde Kilian nur noch "Raketenzar" genannt, doch hatte dieser die Pläne für den Aufbau der ARPA längst abgezeichnet, als das Piepsen der russischen Blechbüchse begann.

Als größte Leistung Kilians wird heute bewertet, 1960 aus der ARPA die Weltraumagentur NASA als Langzeitprojekt herausgelöst zu haben. Danach wurde die ARPA als schlanke Behörde konzipiert, die gezielt forschende Projekte verwaltete. Wissenschaftler-Teams, die Lösungen fanden, wurden ermutigt, sich mit Firmengründungen selbstständig zu machen, lange bevor das Wort Startup bekannt wurde. So entstand beispielsweise das Project Vela, mit dem Ziel, Atombombentests auf der ganzen Welt zu messen. Für Messungen in der Luft, zu Land, im Wasser und im Weltraum wurden weitere Unterprojekte gebildet, aus denen jeweils eigenständige Firmen entstanden.

Mit gleichem Recht hätte man den gelernten Journalisten Kilian statt "Raketenzar" auch als "Computerzar" bezeichnen können. Unter seiner Ägide wurde das Information Processing Techniques Office (IPTO) der ARPA eingerichtet. Im Auftrag der IPTO entwickelten Wissenschaftler am MIT das Prinzip des Time-Sharing zur besseren Ausnutzung von Rechnerkapazitäten. Kümmerliche zwei Millionen Dollar flossen in das von Kilian befürwortete Project MAC (Multi Access Computer), für das der Psychologe J.C.R. Licklider gewonnen wurde. Bei diesem Projekt entwickelten MIT-Wissenschaftler mit Ingenieuren der Telefongesellschaft Bell das Betriebssystem Multics, aus dem später Unix hervorging. Als Licklider 1962 Leiter der IPTO wurde, skizzierte er erstmals das Vorhaben, alle Computer der Universitäten zusammenzuschließen, die für die ARPA forschten. Sein Nachfolger Bob Taylor steckte 1966 eine Million Dollar in das Project Arpanet. Zusammen mit Licklider veröffentlichte Taylor 1968 den bahnbrechenden Aufsatz The Computer as a Communication Device, in dem der Computer als Communicator beschrieben wird, der Menschen in aller Welt miteinander verbindet. Als idealen Computer bezeichneten die beiden das System, das Douglas Engelbart in der Mother of all Demonstrations vorgestellt hatte.

Ein weiteres wichtiges, noch von Kilian angestoßenes Projekt war die Entwicklung eines Satelliten-Kommunikationsnetzwerkes. Als Leiter des Technological Capabilities Panel (TCP) der CIA (diese Position wurde geheim gehalten) war er frühzeitig mit Überlegungen beschäftigt, das Ausspähen der Sowjetunion mittels der U2-Langstreckenflieger durch Satelliten zu ersetzen, die Daten in verschlüsselten Päckchen empfangen und senden sollten. Im Rahmen dieser Forschungen zur russischen Bedrohung passierte es, dass im Februar 1961 eine Terroristengruppe namens American Republican Army mehrere Funkrelaisstationen der US-Army in Utah sprengte. Das Verteidigungsministerium und das TCP beauftragten daraufhin den Thinktank Rand mit einer Studie, wie ein Kommunikationsnetz beschaffen sein muss, das (Atom)Kriege und Terroranschläge übersteht. Eine Rand-Forschergruppe unter dem Elektroingenieur Paul Baran legte im April 1964 eine elfbändige Studie unter dem Titel "On Distributed Communications" vor, in der ein digitales paketbasierendes Daten- und Sprachnetz geschildert wird, in dem "Informationsblöcke" variabel umgeleitet werden können, wenn das Netz gestört ist. Die Studie gilt heute als theoretische Grundlage des Internets, war aber bis in die 70er-Jahre als geheim klassifiziert – Band 9 über Man-in-the-Middle-Attacken ist bis heute nicht freigegeben. Barans Studie ist für den Mythos vom atombombenschlagtauglichen Internet verantwortlich, obwohl von den "Vätern des Internets" nur zwei Personen im Jahre 1967 die Studie einsehen durften.

Einer war J.C.R. Licklider. Als das Arpanet 1969 vier Computer miteinander verband, berechnete Licklider, dass das Netzwerk bis 1978 etwa 14 Computer und 2000 Wissenschaftler miteinander verbinden könnte. 1978 musste Licklider einräumen, dass seine Prognose falsch war. In der Festschrift zur Feier des 20-jährigen Bestehens der ARPA wagte er dennoch einen Ausblick auf das Jahr 2000 und schrieb:

"If we could look in on the future at say, the year 2000, would we see a unity, a federation, or a fragmentation? That is: would we see a single multi-purpose network encompassing all applications and serving everyone? Or a more or less coherent system of intercommunicating networks? Or an incoherent assortment of isolated noncommunicating networks? The middle alternative – the more or less coherent network of networks – appears to have a fairly high probability and also to be desirable."

Siehe dazu auch:

[Update]:
Zwar soll auch nach aktuellen Informationen in der wissenschaftlichen Literatur Band 9 der Studie "On Distributed Communications" immer noch unter Verschluss gehalten werden, zumindest eine elektronische Version ist im Internet verfügbar – ein aufmerksamer heise online-Leser entdeckte sie auf den Webseiten der RAND Corporation. Ob diese Version allerdings exakt dem Original entspricht, lässt sich derzeit nicht überprüfen.

(Detlef Borchers) / (jk)