Keine Lösung für Zugriffsschranken bei der Vorratsdatenspeicherung

Laut Michael Rotert vom Verband der deutschen Internetwirtschaft eco gibt es noch keine Ansätze zur Trennung der verdachtsunabhängig zu speichernden und der bereits für Abrechnungszwecke vorgehaltenen Verbindungsdaten.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Bislang gibt es weder in der Politik noch in der Wirtschaft gedankliche oder technische Ansätze, wie die im Rahmen der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung erhobenen Nutzerspuren von den bisher bereits aufbewahrten Abrechnungsdaten getrennt werden sollen. Dies erklärte Michael Rotert, der Vorstandsvorsitzende des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, gegenüber heise online. Eine Aufteilung der Datenbestände ist aber entscheidend, da die Zugriffsmöglichkeiten auf die für unterschiedliche Zwecke vorgehaltenen Verbindungsdaten sehr verschieden angelegt sind. So dürfen etwa auch Geheimdienste zur Terrorabwehr bereits auf die Abrechnungsdaten zugreifen, während es eine gesetzliche Regelung zum Schürfen in den präventiv von den Providern anzuhäufenden Datenbergen bislang nicht gibt.

Die Anfang des Jahres in Kraft getretene Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sieht vor, dass Strafverfolgungsbehörden zur Gefahrenabwehr oder für die Aufklärung schwerer sowie mit Hilfe der Telekommunikation begangener Straftaten Zugang zu den Vorratsdaten erhalten sollen. Dafür benötigen sie einen richterlichen Beschluss. Diese verfahrenstechnische Hürde greift aber nicht, wenn Internetnutzer anhand der IP-Adresse identifiziert werden sollen. Schon die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten rechtfertigt dabei Zugriffe in einem automatisierten Abrufverfahren durch alle Sicherheitsbehörden.

Noch komplizierter dürfte es mit den Zugangsbestimmungen zu den Vorratsdaten werden, wenn das geplante Gesetz zur besseren zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte Gestalt annimmt. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass etwa der Musik- und Filmindustrie ein Auskunftsanspruch gegenüber Zugangsanbietern eingeräumt wird. Damit könnten auch private Firmen auf zu Abrechnungszwecken gespeicherte Verbindungsdaten sowie auf Kundendaten wie Name oder Anschrift zugreifen. Nicht erlaubt werden soll der Unterhaltungsindustrie dagegen der Zugang zu den für sechs Monate auf Vorrat zu speichernden Verbindungsdaten.

Im Bundesrat waren vor kurzem aber bereits Stimmen laut geworden, welche die Vorratsdaten auch für zivilrechtliche Zwecke nutzbar machen wollten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatten derlei Forderungen aber entschieden zurückgewiesen. Die beiden Regierungspolitiker fürchten, dass der Staat andernfalls an Glaubwürdigkeit verlöre. Umso erstaunlicher ist nun, dass es bislang keine Konzepte zur Trennung von Abrechnungs- und Vorratsdaten gibt. Zumal von Zypries immer wieder zu hören ist, dass im Rahmen der staatlichen Vorgaben zur Massendatenlagerung nur Verbindungsinformationen erfasst würden, die generell schon fürs Inkasso "generiert" werden. Auf Basis dieser Aussage würde eine Differenzierung zwischen beiden Datenformen insgesamt wenig Sinn machen.

Rotert gibt sich diplomatisch und spricht davon, dass die Politiker noch nicht genügend "sensibilisiert" seien für die unterschiedlichen Datenformen und die damit verknüpften Zugangsrechte. Fakt ist, dass viele Provider bei Flatratemodellen Verbindungsdaten bislang nicht oder nur wenige Tage vorhalten. Zu den Vorratsdaten gehören weiter zusätzlich etwa auch Standortdaten oder die Gerätenummern von Handys im Mobilfunk. Der den Ermittlern offen stehende Datenpool wächst damit ungemein nach den neuen Vorschriften. Rotert kann sich nun zwar vorstellen, dass im Rahmen einer Umsetzungsverordnung von den Providern die Lagerung der Vorratsdaten in getrennten, besonders gesicherten Räumen verlangt wird. Über die systeminterne Separierung von den Abrechnungsdaten habe bislang aber noch keiner groß nachgedacht. Konkret umgesetzt werden muss das Gesetz im Internetbereich spätestens bis Anfang 2009.

Schleierhaft ist Rotert auch, wie der vorgesehene Schutz von "Berufsgeheimnisträgern" wie Strafverteidigern, Seelsorgern, Abgeordneten oder Anwälten und Journalisten bei strafprozessualen Ermittlungen ablaufen soll. Wenn man nach einer Internetkennung recherchiere, erfolge dies eh im gesamten Datenbestand. Im Zweifelsfall würden also auch die Verbindungsdaten der ­ zudem in zwei unterschiedlichen Schutzklassen erfassten ­ Geheimnisträger zumindest von den Fahndern zur Kenntnis genommen. Das gleiche Problem würde auch bei Recherchen der Entertainment-Industrie nach benutzten IP-Adressen auftreten.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch hat derweil die Klagen gegen die Novelle der Regeln zur TK-Überwachung begrüßt. Der Wiesbadener Jurist erinnerte daran, dass Karlsruhe in einer früheren Entscheidung "eine Vorratsdatenspeicherung zu unbestimmten Zwecken" für unzulässig erklärte. Er halte daher die Überprüfung des Gesetzes persönlich für sinnvoll. Zugleich schätzte Jentsch, dass eine Vorlage des Falls beim Europäischen Gerichtshof trotz der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich sei. Allgemein dürfe eine "zu enge Überwachung auch aus den besten Motiven heraus" einen freiheitlichen Staat nicht "bestimmen". Vielmehr müsse man mit gewissen Risiken leben.

Der Begriff "Vorratsdatenspeicherung" an sich hat neben dem "Bundestrojaner" gute Chancen, zum Unwort des Jahres 2007 gekürt zu werden. Jury-Sprecher Horst Dieter Schlosser teilte am gestrigen Montag mit, dass rund 1.800 Vorschläge eingegangen seien. Viele "sehr diskutable Bereiche" würden mit der aktuellen Politik und Forderungen nach mehr Überwachung zusammenhängen. Eingereicht worden sei etwa auch die Bemerkung der Bundesjustizministerin, dass die Vorratsdatenspeicherung "so grundrechtschonend wie möglich" umgesetzt worden sei. Der Sieger soll am 15 Januar verkündet werden. (Stefan Krempl) /

Zu Details der neuen Telekommunikationsüberwachung und der auf Vorrat gespeicherten Verbindungsdaten siehe:

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(pmz)