Mit E-Karten und Eselsohren gegen die Online-Überwachung

Die Aktionsplattform Campact hat eine Initiative zur Erinnerung der Politiker an das informationelle Selbstbestimmungsrecht gestartet, während die Online-Demo "Stasi 2.0" unter Beschuss gerät und die Bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung wachsen.

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Die Zahl der Internet-Aktionen gegen Pläne zur Ausweitung der Online-Überwachung wächst. So hat die Plattform Campact.de eine Initiative gegen die Pläne von Union und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zu heimlichen Online-Durchsuchungen gestartet. Mit einer "E-Card" können besorgte Nutzer dabei neben dem CDU-Politiker auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) und die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen Volker Kauder (CDU), Peter Ramsauer (CSU) und Peter Struck (SPD) mit einem Auszug aus dem Volkszählungsurteil von 1983 versorgen. So sollen die Politiker in der hitzigen Debatte um Online-Durchsuchungen an die vom Bundesverfassungsgericht gezogene Grenze beim Eingriff in Grundrechte erinnert werden.

"Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß", heißt es auf der elektronischen Postkarte. Der Einsatz des so genannten Bundestrojaners sei mit diesem Datenschutzprinzip nicht vereinbar. Online-Razzien würden einen Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung dar stellen, da Computer oft intimste Daten über den gesamten Lebensweg von Bürgern enthalten. Auf die Einführung der umkämpften Maßnahme sei daher zu verzichten.

Der vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gestarteten Online-Demo mit dem "Schäuble-Eselsohr", mit der die Dachgruppe zahlreicher Bürgerrechtsorganisationen begleitend zu dem für Samstag geplanten Protestzug in Berlin gegen die "Stasi 2.0" aufmerksam machen will, droht derweil Ungemach aus Bayern. Münchner Strafverfolger finden die Aktion mit der "Schäublone" zumindest laut einem Bericht des Jugendmagazins jetzt.de nicht witzig. So soll ein Informatikstudent, der sich die Schäuble-Plakette (PDF-Datei) mit dem Stasi-Hinweis ausdruckte und aufs Auto pappte, von der Münchner Polizei bei einer Kontrolle überprüft worden sein. Das Konterfei des Innenministers haben die Beamten demnach konfisziert und Anzeige gegen den Teilnehmer an der Protestaktion erstattet.

Die eifrige Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen des Verdachts der Beleidigung, obwohl sich Schäuble selbst anscheinend nicht beleidigt fühlte. Der Minister hatte zuvor nur darauf hingewiesen, dass Stasi-Vergleiche unangebracht seien. Wer auf diese Weise den Rechtsstaat hierzulande mit dem Unrechtsstaat DDR gleichsetze, hat nach Ansicht Schäubles entweder keine Ahnung vom Wirken der ehemaligen Staatsicherheitsbehörde oder leide an akutem Verfolgungswahn. Sollten die bayerischen Strafverfolger dennoch Anhaltspunkte gegen die "Schäublone" finden, könnte damit auch Hunderte an der Aktion beteiligte Blogger und Webseiten-Betreiber mit dem Eselsohr ins Visier der Ermittler geraten.

In die Debatte um die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten hat sich zugleich auch erneut die Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung (GDD) eingebracht. Ein von ihr und der Stiftervereinigung der Presse in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten (PDF-Datei) kommt wie viele andere Stellungnahmen zu dem im Raum stehenden Paradigmenwechsel im Datenschutz zu dem Ergebnis, dass die von der Bundesregierung geplante Gesetzgebung zur sechsmonatigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten im Fall ihres Inkrafttretens verfassungswidrig wäre. Der über 80-seitigen Analyse zufolge muss eine gesetzliche Regelung zum staatlichen Zugriff auf die Datenhalden unbedingt auf die legitimen Zwecke der Terrorismusbekämpfung sowie die Ermittlung und Verfolgung organisierter und sonstiger schwerer Kriminalität beschränkt werden.

Die verdachtsunabhängige Protokollierung der elektronischen Nutzerspuren würde laut dem Gutachten schwerwiegenden Eingriffen in Grundrechte gleichkommen, mit denen den Betroffenen eine unvoreingenommene Nutzung der neuen Medien verwehrt würde. Schon die massenhafte Speicherung der Daten unbescholtener Nutzer ohne jeden konkreten Anlass sei unangemessen. Anstatt sich aber – wie verfassungsrechtlich geboten – auf eine reine Umsetzung der zu Grunde liegenden EU-Richtlinie zu beschränken, gehe der Regierungsentwurf deutlich über die Brüsseler vorgaben hinaus und erfasse sogar minderschwere Straftaten. Dies sei ein klarer Fall für das Bundesverfassungsgericht.

Die Studie konstatiert weiter, dass sich die Grundrechtseingriffe im Bereich der – zuletzt ohnehin verstärkt bedrohten – Pressefreiheit in besonderem Maße auswirken könnten. So würde auch jede elektronische Kontaktaufnahme per Telefon, E-Mail, SMS und Internet von oder zu einem Pressevertreter für einen längeren Zeitraum rückverfolgbar. Dieser Umstand lasse befürchten, dass ein Einschüchterungseffekt eintritt und sich die Informationsquellen der Presse reduzieren.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)