Datenschutz fürs Gehirn

Eine hochrangig besetzte wissenschaftliche Tagung zur Gedankenforschung in Berlin hat gezeigt, wie weit die Techniken zur Analyse von Hirnaktivitäten inzwischen fortgeschritten sind und dass eine öffentliche Diskussion über ihre Anwendung notwendig ist.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Stephan Schleim

Wie weit erlauben es uns die neuesten Methoden der Hirnforschung, in die menschliche Gedankenwelt einzudringen? Welche Prozesse können wir durch die Aufnahme neuronaler Aktivierung und mit Gehirn-Computer-Schnittstellen steuern? Zu diesen Fragen hat für heute die Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung führende Hirnforscher aus aller Welt nach Berlin geladen. Zwei PDFs auf der Tagungsseite geben mit einer Einführung in die Gedankenforschung und Statements der Referenten einen Überblick dazu.

Die wissenschaftliche Leitung der Tagung übernahmen die Berliner Professoren John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience und Gabriel Curio vom Universitätsklinikum Charité. Haynes berichtete von seinen Versuchen, verdeckte Absichten oder einfache Entscheidungen mit Hilfe von Mustererkennungsalgorithmen zu entschlüsseln, die er auf Daten aus dem Hirnscanner anwandte. Der Einsatz dieser Verfahren ist schon aus der Bilderkennung oder der DNA-Analyse bekannt und wird seit Kurzem auch von Hirnforschern versucht. Ihre Daten, die sie beispielsweise mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (Kernspintomographie) bei psychologischen Experimenten messen, erlauben einen Rückschluss auf die neuronale Aktivierung im Gehirn. Haynes gelang es dabei, mit 60- bis 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Hirndaten korrekt den Absichten und Entscheidungen der Probanden zuzuordnen, wobei der Zufallswert bei 50 Prozent liegt. Sein Kollege Curio stellte seine Forschungsarbeiten vor, bei denen Versuchspersonen erfolgreich Computerinterfaces durch gedankliche Steuerung benutzen konnten. Curio arbeitet jedoch im Gegensatz zu Haynes mit Elektroden, die elektrische Ströme auf der Kopfhaut aufzeichnen.

Einen Schritt weiter geht der auch zur Tagung geladene Hirnforscher Miguel Nicolelis, Professor am Duke University Medical Center in Durham, USA. In seinen Experimenten werden Affen Elektroden in die motorischen Gehirnbereiche implantiert, die dann die neuronale Aktivität einzelner Zellen aufzeichnen. Seine viel versprechenden Ergebnisse könnten mittelfristig zu gedanklich gesteuerten Prothesen führen. Diese würden es Patienten, die einen Arm oder ein Bein verloren haben, erlauben, ihre Gliedmaßen in natürlicher Weise zu bewegen und gar als einen Teil ihres Körpers zu erleben. Adrian Owen von der MRC Cognition & Brain Sciences Unit in Cambridge stellte seine Studien vor, die Patienten helfen sollen, die im Wachkoma liegen. Es gilt als umstritten, ob diese Menschen bei Bewusstsein sind und Informationen aus ihrer Umwelt wahrnehmen, da sie nicht mit anderen kommunizieren können. In Owens Experimenten wurden diese Patienten im Gehirnscanner untersucht, während man ihnen über Kopfhörer bestimmte Anweisungen gab. Die gefundene Hirnaktivierung könnte einen Hinweis darauf liefern, dass manche der Patienten bei Bewusstsein sind und damit die klinische Praxis für Wachkomapatienten verbessern.

Die öffentliche Tagung hat dabei nicht nur den gegenwärtigen Stand der Forschung dargestellt, sondern auch auf technische und ethische Grenzen der Studien hingewiesen. Der Wissenschaftshistoriker Cornelius Borck, Professor an der McGill Universität in Kanada, erinnerte an die weit reichenden Spekulationen der Hirnforscher, als diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Elektroden messbare Gehirnströme entdeckten, die zur Methode der Elektroenzephalographie (EEG) führten. Viele davon seien bis heute nicht eingelöst worden. Außerdem sprachen Gisbert zu Pulitz, Vorstandsvorsitzender der Stiftung und Physikprofessor an der Universität Heidelberg, und der Mainzer Philosophieprofessor Thomas Metzinger von einer "mentalen Privatsphäre" oder einem "Datenschutz fürs Gehirn". Die Tagung machte deutlich, dass die Zulässigkeit der neuen Verfahren im Alltag durch ethische und öffentliche Diskussionen geprüft werden muss, da sie in den innersten Bereich der menschlichen Psyche vordringen. (Stephan Schleim/) / (anm)