HFR-Hobbit: Peter Jacksons hyperrealistische Bildästhetik

"Der Hobbit" steht vor der Tür: Heute startet der erste Teil der langerwarteten Trilogie, erstmals mit 48 Bildern pro Sekunde statt mit 24. Wir haben uns die 3D-HFR-Version angesehen - und waren überrascht.

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Von
  • Georg Immich

Gut zu wissen: Hobbit Bilbo Beutlin (Martin Freeman) ist größer als Regisseur Peter Jackson.

(Bild: Warner Bros. Pictures)

Am heutigen Donnerstag läuft Peter Jacksons neuer Film "Der Hobbit – eine unerwartete Reise" offiziell im Kino an – neugierige Fans konnten aber schon am gestrigen Mittwoch erste Previews besuchen. Das Prequel zum "Herr der Ringe"-Dreiteiler ist wieder der Auftakt einer Trilogie, die sich im Dezember 2014 schließen wird. Nach einem langen Rechtsstreit, dem Rauswurf des zunächst als Regisseur vorgesehenen Guillermo Del Torro, Dreharbeiten über eine Länge von 18 Monaten und dem Hype um die neu eingesetzte HFR-Technik wurde der Start von Fans und Kinobetreibern sehnlichst erwartet. Sehr wahrscheinlich wird „Der Hobbit“ der beste Filmstart des Jahres – die Frage ist eigentlich nur noch, ob er die Startrekorde von James Camerons „Avatar“ übertreffen wird.

Der Verleih Warner Bros. bringt den ersten Teil der Hobbit-Saga in vier Versionen in die deutschen Kinos. In den Multiplex-Kinos läuft er meist gleichzeitig in HFR-3D, 3D und 2D (Liste mit HFR-Kinos hier). Im Bremer IMAX-Kino wird der Film in 2D im IMAX Format gezeigt. In der Startwoche stellt Warner Brothers den Filmtheatern jeweils nur eine digitale HFR-3D Kopie zur Verfügung, so dass man sich für eine Vorstellung in der neuen Technik rechtzeitig Karten vorbestellen sollte. Die einzelnen Kinosäle mit HFR-Technik mussten offenbar auf Anweisung von Peter Jackson nach der Umrüstung eine aufwändige Prüfung durch unabhängige Techniker durchlaufen, bevor der Verleih ihnen eine HFR-Kopie zuteilte.

Sieht Bilbo den Unterschied? Auch Bruchtal erscheint in neuem Licht.

(Bild: Warner Bros. Pictures )

Die Erzählung über die "unerwartete Reise" des Hobbits Bilbo Beutlin (Martin Freeman) quer durch Mittelerde spielt 60 Jahre vor der Geschichte, die in "Herr der Ringe" erzählt wird. Auf dieser Reise findet Bilbo Beutlin auch zum ersten Mal die später titelgebende Kunsthandwerks-Pretiose. Anders als bei den zurzeit schwer angesagten Superhelden-Filmen folgt die Erzählung dem alten Schema des Abenteuerfilms und lässt einen Anti-Helden durch Prüfungen zum Helden reifen.

Nach einer einstündigen Exposition nimmt "Der Hobbit" dann Fahrt auf mit furiosen Kampfszenen auf engen Gebirgspfaden und in riesigen Höhlen. Die Actionszenen hat Peter Jackson meisterlich in ausufernden Sets sehr souverän in 3D inszeniert – auch hartgesottene 3D-Gucker werden erschreckt im Kinositz zurückzucken, wenn eine Stampede von Wargreitern auf die Kamera zugaloppiert. Allgemein sehen die gerenderten Figuren noch ein bisschen perfekter aus als in der ersten Trilogie, besonders die flüssigen, lebensechten Animationen sind beeindruckend.

Gemütlich: Trolle beim Abendessen.

(Bild: Warner Bros. Pictures )

Die neuen Darsteller wie Martin Freeman und Richard Armitage als Zwergenanführer Thorin Eichenschild passen sich sehr gut ins bestehende Ensemble mit den aus der Ringe-Trilogie bekannten Figuren wie McKellens Gandalf, Cate Blanchett als Elbin Galadriel oder Andy Serkis als Gollum ein. Das Herr-der-Ringe-Universum wirkt erst einmal genauso wie in der ersten Trilogie (sogar die Musik ist gleich) – es fehlt jedoch der heilige Ernst, "Der Hobbit" ist streckenweise schreiend komisch und oft auch ein bisschen albern, was uns gut gefallen hat.

Der Anschluss an die in der „Herr der Ringe“-Trilogie aufgebauten Welten zeigt auch die Grenzen des Hobbit-Films: Peter Jackson kann an manchen Stellen zwar neue Ebenen einführen und teilweise neue Wesen kreieren, die an die Figuren aus seinem Erstling "Bad Taste" erinnern. Aber er kann nicht wie James Cameron bei "Avatar" vollkommen neue, noch nie gesehene Welten erschaffen. Daher hat sich Peter Jackson bei diesem Projekt mehr der Verbesserung der Filmtechnik und der Bildqualität zugewandt.

Die wichtigste Verbesserung ist die HFR-Technik (High Frame Rate), bei der statt der seit über 80 Jahren üblichen 24 Bildern pro Sekunde mit 48 Bildern gefilmt wurde. Die veränderte Bildwirkung ist extrem – und am Anfang auch extrem irritierend. Die Technik beseitigt tatsächlich so gut wie alle Ruckler und besonders auch den bei 3D-Filmen störenden Effekt, dass das rechte und das linke Auge offenbar zu unterschiedliche Bilder zu sehen bekommen. Die Unschärfen bei schnellen Schwenks sind minimiert, aber nicht ganz verschwunden. Insgesamt ist die Darstellung nahezu perfekt – aber, und das ist das Irritierende, will im Kopf nicht das gute, alte Kinogefühl aufkommen. Vergleichbar ist das mit dem Effekt, wenn man sich direkt nach einem mit 24 Bildern in der Sekunde gedrehten Film auf DVD das mit 60 Bildern gedrehte Making-Of anschaut. Hinzu kommt ein paradoxes Phänomen: Die überbordende Detailfülle scheint das Gehirn davon abzuhalten, wirklich in die Ringe-Welt einzutauchen.

Leicht überfordert: Bilbo mit Besuch.

(Bild: Warner Bros. Pictures )

So urteilten auch viele Kritiker eher negativ: Das Material sei "zu scharf", "zu videomäßig", "zu künstlich", "zu seifenopermäßig". Die Frage ist nur: Liegt das an der HFR-Technik oder war es eine bewusste Entscheidung Peter Jacksons? Die Bildästhetik ist von hoher Schärfentiefe, überstrahlten Bereichen ohne Zeichnung, metallisch glänzende Lichtkanten und durch Landschaftsaufnahmen mit hellen unnatürlichen Grüntönen geprägt. Ähnlich wie Baz Luhrmann in seinem nächsten Film "Der große Gatsby" verstärkte Jackson bei "Der Hobbit" offenbar die Künstlichkeit der Bilder, um sich vom Bildstil des klassischen Hollywood-Films abzugrenzen und eine neue hyperrealistische Ästhetik zu schaffen. Bei dem Produktionsaufwand, der für "The Hobbit" betrieben wurde, hätten ihm auch die Mittel der digitalen Nachbearbeitung zur Verfügung gestanden, um diese Effekte zu eliminieren anstatt sie zu verstärken. Mit diesem Hyperrealismus, der an Computerspiele erinnert, wendet sich Jackson womöglich an eine jüngere Generation, die gerade mit der neuen digitalen Technologie aufwächst und den Filmlook nur peripher kennenlernt. Die Frage wird sein, ob die Herr-der-Ringe-Fans diesen Weg mitgehen oder eher dem Look der Ringe-Trilogie nachtrauern.


[Update 13.12.2012 18:00 Uhr] Noch mehr Versions-Wirrwarr: "Der Hobbit" wird nicht nur in 2D, 3D, 3D HFR und IMAX gezeigt, sondern in einigen Kinos auch erstmals mit der Surround-Technik Dolby Atmos. Eine Liste mit Dolby-Atmos-Kinos gibt es hier.
(jkj)