EU-Studie rät Polizei zum stärkeren Einsatz sozialer Medien

Twitter, Facebook und Co. sind nicht nur eine gute Quelle für kriminologische Informationen; das hat eine neue Untersuchung des EU-Projekts Composite ergeben. Sie könnten Ordnungshütern auch helfen, ihre menschliche Seite zu zeigen.

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Eine neue Studie im Rahmen des EU-Forschungsprojekts Composite (Comparative Police Studies in the EU) kommt zu dem Ergebnis, dass der Einsatz sozialer Medien die Polizei in vielen Bereichen wirksam unterstützen kann. Twitter, Facebook und Co. seien nicht nur eine gute Quelle für kriminologische Informationen, heißt es im jetzt veröffentlichten 30-seitigen Untersuchungsbericht (PDF-Datei). Vielmehr hälfen sie Ordnungshütern unter anderem auch, ihre "menschliche Seite" zu zeigen und Vertrauen zu wecken. Dies hänge etwa mit dem in sozialen Netzwerken üblichen persönlichen Kommunikationsstil zusammen, der im Gegensatz zur gewohnten bürokratischen Behördensprache stehe.

Für die Untersuchung der Social-Media-Anwendungen der Ermittler haben die Forscher unter Koordination des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) Experten von Polizeieinheiten in dreizehn europäischen Ländern befragt. Dazu zählten etwa Belgien, Deutschland, Großbritannien, die Niederlande und Spanien. Besonderes Augenmerk galt England: Dort informierten Beamte durch die einschlägigen Online-Kanäle vielfach bereits die Anwohnerschaft und die gesamte Netzöffentlichkeit über ihre Aktivitäten oder gäben Warnungen sowie Fahndungsaufrufe heraus.

Der Bericht hält fest, dass polizeiliche Ermittlungen in hohem Maß von den Informationen profitieren könnten, die über soziale Medien verfügbar seien. Spezielle Softwarelösungen von Herstellern wie Radian6, Attensity, Kapow, Palantir, IBM, SAS, SAP oder Oracle könnten helfen, die von Nutzern selbst veröffentlichten Datenströme zu kombinieren und zu analysieren. Einige der Befragten hätten aber auch angegeben, "manuell" Kommunikationen zu verfolgen, wie dies theoretisch jeder Bürger tun könne.

Einfach sei es nach Einschätzung der Befragten, auf Basis der bestehenden Rechtslage selbst an private Botschaften oder Chat-Nachrichten bei europäischen Anbietern heranzukommen. Bei Dienstleistern in den USA müsse man dagegen auf langwierigere Rechtshilfegesuche zurückgreifen. Facebook arbeite mit Strafverfolgern aus Europa in internationalen Operationen zusammen, etwa wenn es um Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern gehe.

Als aktiven Kommunikationskanal nutzen dem Report zufolge noch nicht allzu viele Ordnungshüter soziale Medien. Dabei werde im Netz über Polizeiarbeit aber "in jedem Fall diskutiert", meint Projektkoordinator Sebastian Denef vom FIT. Für ihn ist es daher keine Frage, ob entsprechende Themen etwas in sozialen Medien zu suchen hätten, sondern wie die Ermittler "daran teilhaben und die Vorteile nutzen". Denn wenn die Polizei nicht selbst aktiv werde, füllten andere die Lücke. So habe eine inoffizielle Facebook-Seite in Berlin mit Polizeinachrichten über 15.000 Fans. Derartige Angebote könnten aber auch Nährboden für "Gerüchte, Spekulationen und Missverständnisse" sein.

Soziale Medien stellten zudem eine wichtige Verbindung zur jüngeren Bevölkerung dar. Diese würden über traditionelle Medien kaum mehr erreicht. In Ausnahmesituationen wie bei Attentaten oder Aufständen könnten die Netzwerke ein probates Mittel sein, die Bevölkerung rasch zu informieren. Die Polizei von London und Manchester habe über Flickr nach den Unruhen im Sommer 2011 Fahndungsfotos von Plünderern verbreitet und erfolgreich die "Weisheit der Masse" per Crowdsourcing zum Auffinden Verdächtiger genutzt.

Die Forscher sehen das Internet und die sozialen Medien als neuen öffentlichen Raum, in dem die Polizei Präsenz zeigen müsse. Seit anderthalb Jahren habe etwa die Polizei von Helsinki drei Beamte in Vollzeit abgestellt, die eine virtuelle Wache auf verschiedenen einschlägigen Plattformen betreuten. Bereits in den ersten Monaten seien darüber rund 250 Meldungen eingegangen. Auch in den Niederlanden hätten bereits virtuelle Reviere ihren Dienst aufgenommen.

Hierzulande warnen der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und Politiker etwa der Linken vor Fahndungsaufrufen auf Facebook und einem unbedachten polizeilichen Einsatz sozialer Medien. Zu offenen rechtlichen Fragen schweigt sich die Studie dagegen größtenteils aus. In einer begleitenden Mitteilung ist davon die Rede, dass gerade in Deutschland noch Klärungsbedarf bestehe. In Staaten wie Großbritannien oder Holland seien die Hürden für die Ermittler dagegen niedriger. Eine erste Analyse im Rahmen von Composite hatte vergangenes Jahr bereits herausgefunden, dass Social Media bei der Polizei zu den Top-Prioritäten gehört. (gil)