Neue Regulierungsanforderungen durch Next Generation Networks

Der Umbau der Netze auf eine reine IP-Technik stellt die europäischen Regulierer vor neue Herausforderungen. In einem Positionspapier steckt die ERG die Rahmenbedingungen aus ihrer Sicht ab.

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Von
  • Monika Ermert

Wie viel und welche Art von Regulierung brauchen Next Generation Networks (NGN), die neuen All-IP-Netze, über die künftig alle Dienste und Inhaltsangebote zum Kunden kommen sollen? Diese Frage stellt in einer großen schriftlichen Anhörung die European Regulators Group (ERG). In der ERG sind Regulierungsorgane aus ganz Europa einschließlich der Nicht-EU-Länder vertreten. Nach Einschätzung von Experten will die ERG mit der Konsultation auch dokumentieren, dass man auf die "Next-Generation-Regulierung" vorbereitet ist.

In immer mehr Ländern werden neue, schnelle Glasfasernetze ausgebaut und teilweise bis nahe zum Endkunden ausgerollt. "Fibre to the Home" (FttH), "Fibre to the Building" (FttB) oder "Fibre to the Cabinet" (FttC, Verteilerkasten) bedeutet aber auch, dass die Fragen nach Entbündelungsprodukten oder dem Bitstream-Access neu zu stellen sind. "Mit der Migration zu NGN wird sich die Architektur des Netzes grundsätzlich ändern, zum Beispiel ändert sich die Art der Zusammenschaltung von Netzen und die physikalischen Punkte oder die dafür notwendige Hardware", sagte Innocenzo Genna, der den Italienischen Providerverband "Italian ISP Association" im Vorstand der EuroISPA vertritt.

Die heiß umkämpfte letzte Meile könnte so etwa im grauen Verteilerkästchen und nicht mehr im Local Exchange oder Hauptverteiler beginnen. Für Wettbewerber könnte das etwa bedeuten, dass sie mehr für den entbündelten Zugang zum Kunden zahlen müssen, weil er näher zum Kunden rückt und sie sich an mehr Punkten aufschalten müssen. "Die Entbündelung muss komplett neu gefasst werden, das gilt für alle Vorleistungsprodukte, auch den Bitstream-Zugang", so Genna. Genau dazu sammelt das ERG bis zum 11. Juni Stimmen von Regulierern, Wirtschaft und der Öffentlichkeit.

Eine zentrale politische Frage dabei ist auch, inwieweit Regulierungsauflagen wie Entbündelungsanforderungen zu Gunsten schneller Investitionen in die neuen Netze verringert werden sollen. "NGA-(Next Generation Access, d. Red.)Investitionen werden wahrscheinlich die Bedeutsamkeit von Größen- und Reichweitenvorteilen im Geschäft erhöhen", schreibt das ERG im 104 Seiten ausführlichen Konsultationspapier (PDF-Dokument). Die Chance, selbst eine Infrastruktur aufzubauen, werde damit geringer, "was potenziell zu einem bleibenden, wirtschaftlichen Flaschenhals führt."

Zur Frage der von einzelnen Betreibern wie der Deutschen Telekom AG geforderten "Regulierungsferien" äußert sich das ERG-Papier zwar nicht direkt, berichtet eher von den entsprechenden Vorstößen in Spanien und vor allem in Deutschland. Ein Aussetzen der Regulierung kommt in den Vorschlägen allerdings nicht vor. Vielmehr weist das Papier die Richtung, den bestehenden Regulierungsrahmen für NGN weiterzuentwickeln und Glasfasernetze explizit aufzunehmen. Wenn man einem marktbeherrschenden Unternehmen, das den Zugang zu einem NGN ausrolle, Auflagen mache, müsse das Gesamtpaket existierender und zusätzlicher Regulierungseingriffe "verhältnismäßig sein, um eine Überregulierung zu vermeiden", heißt es in dem Papier. Für den Fall, dass ein marktbeherrschender Netzbetreiber seine Zusammenschaltungspunkte verschiebt, befürwortet das Papier eine Balance zwischen der kommerziellen Freiheit des Marktführers, sein Netz weiterzuentwickeln, und dem Ziel des Regulierers, für Wettbewerb zu sorgen. Das könnte im Einzelfall auch mit der Auflange verbunden sein, die so genannten Main Distribution Frames zunächst weiterzubetreiben.

Genna warnt: "Das Netz ändert sich, die Technologie ändert sich. Aber die Wettbewerbsproblematik bleibt dieselbe. Sie verschärft sich eher noch." Das deutsche Beispiel, in dem nicht nur der Marktführer die Ferien fordere, sondern die Regierung mitspiele, ist laut Genna der politische Paradefall. "Wenn man die Regulierung einfach komplett aufhebt, dann zerstört man den Wettbewerb einfach komplett." Ein unreguliertes Netz, das von einem einzigen Provider beherrscht wird, wäre ein Desaster. (Monika Ermert) / (vbr)