Hochschule Anhalt: Überlichtgeschwindigkeit vom Baumarkt

Am Standort Köthen der Hochschule Anhalt überträgt Informatikprofessor Alexander Carôt Mikrowellen über eine Strecke von 50 Metern ohne eine messbare Laufzeit.

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Von
  • Ralf Bülow

In den 1990er Jahren wurde der Kölner Physiker Günter Nimtz durch Experimente bekannt, bei denen Mikrowellen in Nullzeit einen 12 Zentimeter langen Hohlleiter durchquerten und ein Musikstück übertrugen. Auf der Gesamtstrecke vom Sender zum Empfänger lag dabei die Übertragungsgeschwindigkeit über der des Lichts. Die Versuche waren damals umstritten und sind es noch heute, denn sie verstießen gegen das Grundgesetz der Physik, nach dem sich nichts schneller als Licht im Vakuum ausbreiten kann.

Trotz der Kritik von anderen Wissenschaftlern beschäftigten sich immer wieder Forscher mit dem Phänomen der zeitlosen Transfers, und inzwischen ist dieser sogar für Elektronen belegt und wurde im Dauerbetrieb im Museum gezeigt. In einer neuen Versuchsreihe im Standort Köthen der Hochschule Anhalt gelang es dem jungen Informatikprofessor Alexander Carôt, Mikrowellen durch einen 50 Meter langen gebogenen Leiter zu schicken und die Thesen der superluminalen Physik zu bestätigen: die Wellen durchliefen das Rohr in null Sekunden.

Carôt kam zur Überlichtgeschwindigkeit durch sein Interesse für Jazz. Der praktizierende Bassgitarrist entwickelte die (kostenlose) Software Soundjack, die geografisch weit getrennte Musiker über das Internet zusammenführt und die unvermeidlichen Verzögerungen und Netzwerkprobleme ausgleicht. „Aber die Lichtgeschwindigkeit ist der Killer“, bekennt der Forscher, „bei Distanzen über mehrere 1000 Kilometer werden die Latenzen einfach zu groß.“

Raum ohne Zeit: Die kurzen grauen Hohlleiter erzeugen im Kupferrohr eine Zone, die Ku-Band-Mikrowellen instantan durchlaufen.

(Bild: Ralf Bülow)

Nach seiner Promotion im Jahr 2009 suchte Carôt eine Lösung des Latenzproblems und stieß auf die Arbeiten von Günter Nimtz. In Zusammenarbeit mit dem Physiker baute er in seinem Köthener Büro immer längere Hohlleiter auf und untersuchte zunächst das Verhalten von X-Band-Wellen. Von einem Meter gelangte er über 2,50 und 5 Metern zu 20 Metern und schließlich zur Rekordstrecke von 50 Metern im frequenzhöheren Ku-Band. Wie Carôt zu berichten weiß, erwarb er die erforderlichen Rohre, die sonst für sanitäre Zwecke genutzt werden, im Baumarkt und ließ sie in der Hochschulwerkstatt biegen. Die Elektronik zum Messen und Auswerten fand er im Magazin der Hochschule vor.

Die Köthener Kupferschlange ist eigentlich ein normaler Wellenleiter aus Kupfer von 2 Zentimetern Durchmesser. An seine Enden setzte Carôt zwei wenige Zentimeter lange Hohlleiter mit noch engerem Durchlass. Diese stellen die Barrieren dar, die eine Welle von 12 Gigahertz "durchtunneln" muss, und sie verwandeln das Rohr dazwischen in eine Zone, in der die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes stehen bleibt.

Alexander Carôt an den Messgeräten in seinem Büro; vorne liegt die 50-Meter-Kupferschlange.

(Bild: Ralf Bülow)

Die Welle passiert die 50 Meter lange Strecke mit einer Dämpfung von 35 Dezibel, aber eben in Nullzeit. Der Nachweis erfolgt durch Hinsehen auf ein Oszilloskop: die Sinuswelle, die der Monitor beim Durchlauf durch den Hohlleiter anzeigt, deckt sich – nach Ausgleich der Dämpfung – exakt mit derjenigen Welle, die bei einer direkten Zuleitung ohne Umweg durch das Kupferrohr erscheint. Rechnet man die minimalen Verzögerungen an den Enden des Kupferrohrs hinzu, kommt man auf 1700fache Lichtgeschwindigkeit.

Bei seiner Arbeit (PDF-Datei) übertrug der Informatikprofessor bislang noch keine Informationspakete, für die sich aus Startzeitpunkt und Laufzeit ein überlicht-schneller Transfer ergibt. Alexander Carôt denkt aber über weitere Versuche mit Modulation nach und ebenso über den Aufbau einer Rückkoppelung. Dabei würde man die Welle nach Durchlauf des Hohlleiters verstärken und erneut einspeisen. Der große Traum des Kötheners Forschers bleibt die quasi instantane Übertragung von Information oder Musik über große Distanzen, etwa durch Glasfaser. Für alle Fälle hat sich Carôt auch zwei Satellitenschüsseln zugelegt.

[Update:] Siehe hierzu auch den Kommentar von Jörn Loviscach im c't-Blog.

(mho)