Augen auf bei Überlichtgeschwindigkeit

Jörn Loviscach, Professor am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der Fachhochschule Bielefeld und ehemaliger stellvertretender Chefredakteur bei c't, äußert sich kritisch zur Berichterstattung auf heise online.

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  • Jörn Loviscach

Spätestens seit den vermeintlich überlichtschnellen Neutrinos am CERN sollte jeder gewarnt sein, dass sensationelle Nachrichten aus den Naturwissenschaften mit Vorsicht zu genießen sind – selbst, wenn sie von arrivierten Forschern aus großen, auf das jeweilige Fach spezialisierten Instituten stammen. Insofern ist der Bericht Überlichtgeschwindigkeit vom Baumarkt sehr kritisch zu bewerten. Es mangelt nicht nur an sprachlicher Distanzierung, sondern vor allem an – mindestens einer – Expertenmeinung zum Thema. Das Internet strotzt vor angeblich erfolgreichen Experimenten zu Informationstransport mit Überlichtgeschwindigkeit, Nutzung von Nullpunktsenergie und ähnlichem. Über diese wird aus gutem Grund nicht berichtet.

Die im Bericht verlinkte, vier Seiten kurze Publikation ist augenscheinlich unkontrovers formuliert und hat nichts mit überlichtschneller Informationsübertragung zu tun. Die Arbeit wurde binnen fünf Tagen begutachtet, was Zweifel an der Tiefe der Begutachtung aufkommen lässt. Der rechte Teil von Abbildung 4 gibt einen Fingerzeig, was im Experiment passiert: Nicht die Übertragung wird schneller, denn Eingang und Ausgang haben gleichzeitig den Knick am Start, sondern es gibt nur eine Phasenverschiebung, wie im linken Teil der Abbildung zu sehen.

Oft verwirrend ist, dass nicht jede physikalische Größe, die sich in Metern pro Sekunde messen lässt, auch eine reale Geschwindigkeit ist. Muster können sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, wie diese Animation zum Begriff "Gruppengeschwindigkeit" plastisch vorführt. In der physikalischen Wissenschaftsgemeinschaft herrscht Einigkeit darüber, dass noch niemand stichhaltig einen Transport von Information oder gar Materie jenseits der Lichtgeschwindigkeit demonstriert hat.

In der Speziellen Relativitätstheorie hätte eine Überlichtgeschwindigkeit offensichtliche Probleme, zum Beispiel müssten Ruhemassen imaginäre Zahlen werden; außerdem könnte man es schaffen, ein Signal zu empfangen, bevor man es abgesendet hat. In der Allgemeinen Relativitätstheorie kann man sich dagegen Möglichkeiten wie Wurmlöcher und – mit großen Einschränkungen – den Alcubierre-Antrieb zumindest im Prinzip vorstellen. Praktikabel scheint davon allerdings bisher keine.

Aber: Wissenschaftliche Theorien sind immer nur Modelle. Da alle "Natur"gesetze von Menschen erfunden sind, darf die Natur unsere "Natur"gesetze brechen. Das Universum macht nicht immer, was wir wollen oder glauben oder hoffen. Es hat sicher noch viele Überraschungen parat. Vielleicht sogar in Rohren aus dem Baumarkt – auch wenn es mich persönlich sehr wundern würde. (bo)