Opposition und SPD nehmen Schäubles Anti-Terrorpolitik unter Beschuss

Der Bundesinnenminister musste sich bei einer aktuellen Stunde im Bundestag über seine Äußerungen zur Gefährdungslage anhören, er betreibe einen "Krieg gegen den Rechtsstaat" und spiele mit Hysterie den Terroristen in die Hände.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble musste sich am heutigen Donnerstag während einer aktuellen Stunde im Bundestag schwere Vorwürfe über seine Äußerungen zur Gefährdungslage und seine Pläne zur Terrorabwehr anhören. Der CDU-Politiker "führt Krieg gegen den Rechtsstaat und ist als Verfassungsminister untragbar", erklärte der Rechtsexperte der Grünen im Bundestag, Wolfgang Wieland, im Rahmen der hitzigen Debatte. Schäuble wolle "die Vermischung von Militär und Polizei" und das Bundeskriminalamt (BKA) zu einer Art FBI mit integrierten Geheimdienstbefugnissen einer CIA hochrüsten. SPD-Fraktionsvize Fritz Rudolf Körper warf dem Minister vor, die Sicherheitslage nicht objektiv darzustellen. Wer Hysterie schüre, spiele den Terroristen in die Hände, gab der Sozialdemokrat Gerold Reichenbach zu bedenken.

Anlass der von den Grünen beantragten Befassung des Parlaments mit dem Thema Sicherheitspolitik waren die jüngsten umstrittenen Warnungen Schäubles vor Attentaten mit nuklearem Material. In dem Interview mit der Sonntags-FAZ hatte der Minister zugleich den Bürgern den Tipp gegeben, sich die bis dahin verbleibende Zeit nicht verderben zu lassen. Der CDU-Politiker selbst begründete seine Äußerung mit einem Verweis auf ein Gespräch des Nachrichtenmagazins Spiegel mit dem UN-Waffenkontrolleur Mohammed ElBaradei. Dieser habe das "Horrorszenario" einer in einer Großstadt explodierenden schmutzigen Bombe als seine "größte Sorge" bezeichnet. Schäuble räumte ein, diese Aussage als Befürchtung "aller Sicherheitsexperten" verallgemeinert zu haben. Ansonsten hielt er an dem Aufriss der Bedrohungslage aber fest.

Zugleich nutzte der Minister erneut die Gelegenheit, sich für heimliche Online-Durchsuchungen auszusprechen. Die Generalbundesanwältin und die BKA-Spitze würden ihn gerade nach den Verhaftungen dreier Terrorverdächtiger im Sauerland beschwören, "gebt uns die notwendigen Instrumente, damit wir in Zukunft auch gute Arbeit leisten können". Netzbespitzelungen müssten genauso wie Abschüsse von Flugzeugen mit Terroristen "ausschließlich auf eindeutiger verfassungsrechtlicher Basis" erfolgen können. "Einwandfreie Rechtsgrundlagen" seien für derlei Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Dabei gehe es nicht um einen Angriff auf den Rechtsstaat. Vielmehr wolle die Union so "die Verfassung krisenfest machen".

Anhand früherer umstrittener Interviews Schäubles etwa zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren, dem Ende der Unschuldsvermutung oder zum gezielten Töten von Top-Terroristen erkor die Innenexpertin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, den Minister zum "Nostradamus unserer Zeit". Sie warf ihm vor, die SPD unter Ausnutzung der von ihm selbst geschürten Ängste der Bevölkerung unter Druck setzen zu wollen. Verdeckte Online-Razzien etwa seien aber kein "Allheilmittel", zumal man wenig aus dem Innenministerium zur Verbesserung der alltäglichen Polizeiarbeit höre.

Körper schalt Schäuble, weil dieser einem abstrakten Gefahrenszenario eine "gewisse Aktualität" gegeben habe. Wirklich Anlass zur Beunruhigung habe dabei die von dem SPD-Politiker in einen Trinkspruch umgedeutete Anregung Schäubles zur Gelassenheit gegeben: "Trinkt noch einen Schoppen oder zwei, es ist ohnehin bald alles vorbei." Deutschland sei bereits eines der sichersten Länder der Welt. Wenn das subjektive Empfinden der Menschen mit dieser objektiven Tatsache nicht übereinstimme, würden Schäubles bevorzugt an Wochenenden platzierte Interviews zur Terrorismusbekämpfung "die Verantwortung dafür tragen". Schweigen würde laut Körper manchmal der innenpolitischen Debatte aber eher helfen. So sei die Koalition "auf gutem Weg", das BKA mit Präventionszuständigkeiten auszustatten. Da könnte man aber schon weiter sein ohne Schäubles Beharren auf der Integration einer Lizenz zum Einsatz des so genannten Bundestrojaners.

"Seit Wochen erleben wir ein Staccato von Angriffen gegen die grundrechtliche Verfasstheit der Bundesrepublik direkt aus den Ministerien und dem Bundeskanzleramt", wetterte Petra Pau für die Linken. Dazu gehöre auch das Szenario der ausgeweiteten Online-Überwachung, das Schäuble zum "Fall für den Verfassungsschutz" mache. In Richtung SPD sprach sie von einer großen Versuchung, "einen Pakt mit dem Teufel zu schließen", der sich die Genossen verweigern müssten. Zugleich rief Pau die Abgeordneten auf, gleich ihr am Samstag in Berlin "gegen Überwachung und Datenklau" zu demonstrieren.

Andere Innenpolitiker von SPD und Grünen wie Michael Hartmann und Silke Stokar sowie der SPD-Rechtsexperte Klaus Uwe Benneter unterstrichen, dass Rot-Grün bereits nach dem 11. September mit diversen Anti-Terrorgesetzen ohne Schüren von Ängsten die Sicherheitsarchitektur verbessert und gemeinsame Einrichtungen von Polizeien und Geheimdiensten geschaffen habe. "Ich finde das merkwürdig, was Sie seit einiger Zeit abziehen", wandte sich Stokar an Schäuble. "Sie werfen uns Brocken hin und freuen sich, wie es Ihnen gelingt, die SPD vor sich hin zu treiben und die Bevölkerung in Angst zu versetzen." Im Parlament tue der Minister dann so, als ob er nichts gemacht habe. Das unterminiere das Vertrauen in die Politik. Hartmann versicherte, "die SPD-Fraktion wird an ihrer Seite stehen bei allen notwendigen Maßnahmen. Wir werden aber auch aufpassen, ob und inwieweit diese notwendig sind." Vagabundierendes Atommaterial etwa werde nicht gestoppt durch "vagabundierende Interviews". Zudem habe die große Koalition bereits elf Gesetze zur inneren Sicherheit verabschiedet.

Unionsabgeordnete nahmen Schäuble in Schutz. Es sei Pflicht eines Innenministers, auf die Bedrohungslage hinzuweisen, meinte Clemens Binninger von der CDU. Stephan Mayer von der CSU drehte den Spieß um und hielt der Opposition vor, "verantwortungslose Empörungspolitik" zu betreiben. Zynisch sei die Haltung, dass die bisherigen Attentatsversuche doch an Basis der bestehenden Befugnisse aufgeklärt worden seien. Auch die Terroristen würden nämlich "intelligenter und perfider" vorgehen. Daher "brauchen wir Online-Durchsuchungen".

Dass es bei einer Verabschiedung einer Lizenz für den Bundestrojaner nicht bei den angeblich maximal zehn Einsätzen der Spionagesoftware pro Jahr bleiben dürfte, hat derweil der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christian Baldauf deutlich gemacht. Laut einem Zeitungsbericht kann sich der Unionsvertreter Online-Razzien auch bei Ermittlungen gegen Hooligans und so genannte Problemfans vorstellen. Die Maßnahme müsse "man auch in diesem Bereich zulassen, weil nicht unterschätzt werden darf, dass viele Dinge im Vorfeld über Computer abgesprochen werden".

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)