Technisch fit und trotzdem überfordert: Jugendliche im Internet

Mit Verboten und Filter-Software ist Jugendschutz im Internet nach Meinung von Pädagogen nicht durchsetzbar. Der technisch versierte Nachwuchs müsse vielmehr fit im Umgang mit den Inhalten gemacht werden.

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Von
  • Andreas Heimann
  • dpa

Viele Kinder und Jugendliche sind zwar technisch fit im Umgang mit Handy und Computer, in anderer Hinsicht aber deutlich damit überfordert. Zu den Gefahren, die im Internet auf sie lauern, gehört zum Beispiel der offene Zugang zu Porno-Seiten, sagte Michael Höllen von der Initiative Schulen ans Netz auf der Bildungsmesse didacta, die noch bis zum 24. Februar in Hannover stattfindet. Häufig würden Kinder und Jugendliche aber auch durch kostenpflichtige Angebote ausgetrickst. "Da gibt es Malvorlagen für Grundschüler im Internet, für die man sich einen Dialer runterlädt und dann 24,95 Euro bezahlt." Technisch sei das ganz einfach: Mausklick genügt.

Solche kostenpflichtigen Angebote sieht auch der Sozialpädagoge Guido Büttner aus Hannover als "großes Problem". Viele ursprünglich kostenlose Seiten seien inzwischen "verkommerzialisiert" und machten sich die Arglosigkeit junger User zu Nutze. Ein Beispiel dafür seien Hausaufgabenhilfen. "Die Jugendlichen wollen einfach schnell an die Hausaufgaben kommen", sagt Büttner – und sie lesen dann nicht das Kleingedruckte. Das kann schnell sehr teuer werden.

Leichtsinnig sind Jugendliche oft aber auch hinsichtlich der Rechtslage: So seien Online-Tauschbörsen ausgesprochen beliebt, in denen häufig Software, Handy-Logos oder Musiktitel illegal weitergegeben werden, sagt Büttner. Nicht immer sei den Beteiligten klar, dass dabei Urheberschutzrechte verletzt werden.

Auch bei Filmchen für das Handy, die via Bluetooth schnell und einfach übertragen werden könnten, spiele diese Frage in der Regel keine Rolle. Chats animierten Jugendliche immer wieder zum "Dissen", dem Verunglimpfen Gleichaltriger. Der Begriff kommt aus dem Hiphop- Bereich – "Disrespect" zeigen bedeutet, jemanden verächtlich zu machen.

Das kann zum Beispiel dadurch passieren, dass ein möglichst peinliches Foto und die Telefonnummer eines Jugendlichen ohne dessen Wissen in einer Online-Singlebörse veröffentlicht werden. Jemanden durch solche "Fakes" bloßzustellen und zu blamieren, sei zwar ein alter Hut, sagt Büttner. "Nur ist es eben etwas anderes, ob das auf der Schultoilette zu lesen ist oder für Tausende im Internet."

Verbreitet sei unter Jugendlichen auch, sich im Internet gezielt grausame oder abstoßende Fotos anzusehen. Einzelne Homepages sammeln solche Aufnahmen geradezu, berichtete Andrea Urban, die Leiterin der Landesstelle für Jugendschutz Niedersachsen (LJS). "Kinder und Jugendliche tauschen sich darüber aus und unterhalten sich darüber, einerseits um zu schocken, aber auch, um damit umgehen zu lernen."

Auf manchen Websites sind beispielsweise Fotos von Unfallopfern oder Selbstmördern zu sehen. Folterfotos wie aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib würden längst auch per Handy verschickt. Eltern oder Lehrer müssten sich das nicht alles angucken, "aber man sollte darüber Bescheid wissen", sagte Urban.

Die Hoffnung mancher Eltern und Erzieher, das Problem mit Filter-Software zu lösen, ist laut Michael Höllen eine Illusion: "Filter bieten keine Sicherheit." Und wenn auf dem Desktop "Access denied" erscheine, weil der Zugang zu einer Website gesperrt wurde, sporne das viele Jugendliche erst recht an: "Das motiviert nur, die Sperrung auszuhebeln." Sich mit dem Thema problematische Inhalte im Internet zu beschäftigen, hält der IT-Experte aber für unverzichtbar: "Es ist erschreckend, wie wenig zu Hause über solche Probleme nachgedacht wird."

Auch pornografische Inhalte seien leicht verfügbar, beobachtet Andrea Urban: "Das geht ohne weiteres auch ohne Kreditkarte." Jugendliche suchten häufig gar nicht gezielt danach, guckten sich solche Seiten aber an, wenn sie darauf treffen. "Bei LAN-Partys ist es nicht unüblich, zwischendurch Pornobilder anzusehen."

Lehrer könnten im Unterricht auf solche Themen zu sprechen kommen und Gewaltdarstellungen beispielsweise anhand von Kriegsbildern problematisieren. Pornografie und Sexismus können nach Empfehlung der Jugendschutz-Expertin anhand von Fernseh-Werbung und Video-Clips thematisiert werden, um den Jugendlichen klar zu machen, wie solche Bilder funktionieren. Verbote sind in diesem Zusammenhang keine Hilfe, sind sich die Experten einig – worauf es ankommt ist, die Jugendlichen fit zu machen im Umgang mit dem Web, gerade wenn es nicht um die technische Seite, sondern um die Inhalte geht. (Andreas Heimann, dpa) / (pmz)