US-Regierung will wissen, wer mit wem reist und was man liest

Das US-Heimatministerium sammelt wesentlich mehr Daten über Reisende und wertet sie mit dem Automated Targeting System aus, als bislang bekannt gewesen ist.

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Von
  • Florian Rötzer

Das US-Heimatministerium sammelt wesentlich mehr Daten über Reisende und wertet sie mit dem Automated Targeting System aus, als bislang bekannt gewesen ist. Nach einem Bericht der Washington Post, der sich auf Dokumente stützt, die das Identity Project über Eingaben nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hat, wurde die Datensammlung seit 2002 wesentlich erweitert. Die Daten werden bis zu 15 Jahre gespeichert.

Dabei werden nicht nur die grenzüberschreitenden Reisemuster von amerikanischen Bürgern und Ausländern im Luft-, See- und Fahrzeugverkehr und bei Flugreisenden die PNR-Daten erfasst, sondern beispielsweise auch, wer mit wem reist, wer wen besucht und welche Gegenstände die Reisenden mit sich führen. Auch mitgeführte Bücher scheinen die Sicherheitskräfte zu interessieren. Russ Knocke, ein Sprecher des Ministeriums, erklärte allerdings, dass man an Büchern nicht interessiert sei: "Ich weise die Unterstellung entschieden zurück, dass wir uns für den neuesten Roman von Tom Clancy interessieren, den ein Reisender liest. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass die Grenzschutzbeamten sorgfältig überprüfen, ob es etwas gibt, das vermuten lässt, dass es mögliche, mit einem Reisenden verbundene Gesetzesverletzungen oder Gegenstände im Besitz eines Reisenden gibt, wenn sie die Entscheidung über die Einreisebewilligung treffen." Wird jemand genauer überprüft, sei es auch nicht ungewöhnlich, wenn Notizen gemacht würden.

Das Identity Project wurde von John Gilmore, einem Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation, gestartet. Er hatte sich 2002 am amerikanischen Unabhängigkeitstag geweigert, bei einem Inlandsflug einen Ausweis vorzulegen, weswegen er nicht fliegen durfte. Daraufhin reichte er eine Klage ein und verlangte Einsicht in die gesetzliche Grundlage der Ausweispflicht. Vom Heimatschutzministerium hatte das Identity Project Dokumente von 5 Personen verlangt, u.a. auch von Gilmore. In einem der Dokumente über Gilmore heißt es: "PAX (passenger) has many small flashlights with pot leaves on them. He had a book entitled 'Drugs and Your Rights'." Festgehalten wurde etwa auch, dass er während einer einmonatigen Reise an einer Computerkonferenz in Berlin teilgenommen habe und dann weiter durch Europa und Asien gereist sei, um Freunde zu besuchen. Er sei ein selbständiger Unternehmer in der Softwarebranche, wurde ebenfalls notiert. Nach den Dokumenten werden bei den PNR-Daten auch ethnische Abstammung, Telefonnummern von Bekannten, die bei Auslandsreisen angegeben werden, oder Flüge von US-Bürgern registriert, die sie beispielsweise nur innerhalb Europas gemacht haben.

Das letztes Jahr bekannt gewordene ATS-System (siehe: US-Regierung bewertet das Risikopotenzial aller Ein- und Ausreisenden) verknüpft PNR-Daten auch mit Informationen aus anderen Datenbanken wie dem Automated Commercial System (ACS), dem Automated Export System (AES), dem Automated Commercial Environment (ACE) und dem Treasury Enforcement Communication System (TECS) sowie Daten aus anderen Quellen, um eine Risikobewertung zu erstellen. Die EU-Kommission hatte davon spätestens seit 2004 Kenntnis (PNR-Daten als Ausgangspunkt zum Ausspionieren). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die US-Regierung vom EU-Rat verlangt hat, dass alle Dokumente über die Verhandlungen des neuen transatlantischen Abkommens zum Transfer von europäischen Flugpassagierdaten an die US-Sicherheitsbehörden mindestens zehn Jahre lang nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Die Verhandlungen hat von europäischer Seite der Bundesinnenminister Schäuble geleitet, das Abkommen ist umstritten.

Bürgerrechtler in den USA kritisieren, dass die Regierung mit dem ATS-System persönliche Daten von Millionen von US-Bürgern sammelt und auswertet, wovon die Betroffenen meist gar nichts wüssten. Überdies gebe es keine ausreichenden Möglichkeiten, Einsicht in die Daten zu erhalten und deren Korrektur bzw. Löschung zu verlangen. Überdies würde die Datenerhebung gegen den Privacy Act verstoßen. (fr)