Österreichs Verfassungsrichter warnt vor neuer Stasi

Der Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes fürchtet im Rahmen der Terrorismusbekämpfung das Abrutschen in einen totalen Überwachungsstaat. Hierzulande geht die Sicherheitsdebatte indessen scharf weiter.

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Der Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, Karl Korinek, fürchtet im Rahmen der Terrorismusbekämpfung das Abrutschen in einen totalen Überwachungsstaat. Der Verfassungshüter sprach am gestrigen Samstag in einem Interview mit dem Österreichischen Rundfunk von der Gefahr, dass in der Sicherheitsdebatte grundrechtliche Grenzen überschritten würden. "Ich habe manchmal den Eindruck, wir werden ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger von der Stasi", sagte Korinek. Der legitime Wunsch nach Sicherheit verdränge Grundrechte wie das Briefgeheimnis, das Fernmeldegeheimnis und den Datenschutz. Die Sensibilität für die Gefahren solcher Einschränkungen der Bürgerrechte fehle offenbar.

Wichtig ist für den Verfassungsrichter, dass von den Politikern die Relationen zwischen Sicherheit und Freiheit stärker beachtet werden. Es könne nicht sein, dass aus dem Sicherheitsbedürfnis heraus alles erlaubt sei – wie in einem totalitären System. Für jeden Eingriff in die Grundrechte müsse es eine gesetzliche Ermächtigung geben, es müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden und diese müsse notfalls vom Verfassungsgerichtshof überprüft werden können. Ob die auch in Österreich diskutierte heimliche Online-Untersuchung von Computern verfassungskonform sei, könne etwa erst in einem laufenden Verfahren beurteilt werden.

Deutschland ist hier auf Grund der Verabschiedung eines Landesgesetzes mit Geheimdienstbefugnissen zu Online-Razzien bereits einen Schritt weiter. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kündigte gerade eine strenge Prüfung dieser Lizenz zur Netzbespitzelung an. Er ließ durchblicken, dass sich Karlsruhe dabei an den strengen Vorgaben der Verfassungsrichter zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung beim großen Lauschangriff orientieren werde. Zugleich riet er der großen Koalition, die Entscheidung abzuwarten, bevor sie weitere Gesetzesvorstöße in Richtung der Ausspähung "informationstechnischer Systeme" auch auf Bundesebene vornehme. In Berlin gingen gestern rund 15 000 Bürger aus Sorge über den "Überwachungswahn" in Staat und Wirtschaft auf die Straße und demonstrierten konkret etwa gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung und den "Bundestrojaner".

Zwischen den Regierungsfraktionen ist derweil keine Entspannung im Dauerstreit um die innere Sicherheit in Sicht. Auch nach Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könne man nach den umstrittenen Äußerungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) laut Vizekanzler Franz Müntefering "nicht einfach zur Tagesordnung übergehen". Die zwei Kabinettsmitglieder hätten mit ihren Warnungen vor konkreten Anschlägen mit schmutzigen Bomben beziehungsweise zum Abschuss von Flugzeugen mit Terroristen an Bord eine "rote Linie überschritten", sagte der SPD-Politiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Das Thema Sicherheit sei zu ernst, als dass es "Spielmaterial für öffentliche parteitaktische Manöver" sein könne, betonte Müntefering. Der Bevölkerung dürfe keine Angst gemacht werden.

Aus Reihen der Sozialdemokraten wird zugleich erneut der Ruf nach mehr Führungsstärke Merkels laut. "Das Problem ist, dass die Kanzlerin nicht führt", sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion, Johannes Kahrs, der Welt am Sonntag. Die SPD habe "schon lange gemerkt, dass Merkel nicht führt". Jetzt sei dies "sogar der Opposition" aufgefallen. Nun müsse es nur noch die Union mitbekommen. Die Kanzlerin hätte Kahrs zufolge ihren Innen- und Verteidigungsminister für deren Äußerungen zur Terrorabwehr stärker zur Ordnung rufen müssen.

Nach Informationen des Spiegel rügte Merkel die Minister Jung und Schäuble hinter verschlossenen Türen mehrfach. Im CDU-Präsidium habe sie am vergangenen Montag gesagt, es wäre besser gewesen, man hätte den Grünen mit ihrem Streit über die Afghanistan-Politik die Schlagzeilen des Wochenendes überlassen. Angeblich beklagte sie sich auch darüber, dass sie von den Äußerungen der Minister erst aus den Medien erfahren habe. In einer Unions-Runde am Mittwoch habe Merkel eine besser abgestimmte Kommunikation angemahnt. Zugleich steht Merkel aber weiter hinter der Forderung Schäubles, verdeckte Online-Durchsuchungen zuzulassen. Computer und Festplatten dürften kein Raum sein, auf den der Staat nicht zugreifen dürfe.

Auch der bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber hat Schäuble den Rücken gestärkt. "Für mich hat Bundesinnenminister Schäuble mit seinen eindringlichen Warnungen vor dieser Terrorgefahr den Finger in die Wunde gelegt", erklärte der Favorit für den CSU-Vorsitz. "Wir sind viel stärker bedroht, als viele ahnen. Die Attacken der SPD auf Schäuble schaden unserer Sicherheit." Der umstrittene Innenminister Schäuble will sich derweil am Montag in Washington mit US-Heimatschutzminister Michael Chertoff treffen, mit dem der Christdemokrat im jüngster Zeit etwa das umstrittene Abkommen zum Transfer von Flugpassagierdaten ausgehandelt hat. Dabei soll der Anti-Terror-Kampf nach den Festnahmen mutmaßlicher islamistischer Terroristen in Deutschland im Mittelpunkt stehen. Schäuble wird zudem beim German Marshall Fund eine Rede zum Spannungsfeld zwischen Sicherheitsinteressen und Freiheitsrechten halten. (Stefan Krempl) / (uk)