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Was war. Was wird.

Sautalentierte Leute leben in einer geilen Zeit. Oder so. Wenn Bobos schon mal von Ethik reden und einem neuen, transhumanistisch-hyperlibertären Ich... Da fällt Hal Faber nur Goethe ein: Getretner Quark wird breit, nicht stark.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Soso, die Wiederbelebung des Bobo-Bashings in der letzten Wochenschau ist gut angekommen, aber auch auf Kritik gestoßen. Leser, die nicht seit Äonen dabei sind, konnten mit dem Begriff der "Bourgeois Bohemians" nichts anfangen. Geprägt hat ihn David Brooks, ein konservativer Journalist der New York Times, der sich im Jahre 2000 über den Lebensstil der "Neuen Klasse" aufregte. Auslöser war übrigens ein Interview mit Amazon-Gründer Jeff Bezos. Brooks ist inzwischen ein bekannter Autor geworden und sieht den Menschen als soziales Tier, als Wesen mit sozialen Schnittstellen. Darüber hat Brooks ein gähnend langweiliges Buch geschrieben, weil seine Beispielstiere Erica und Harold in der öden "Neuen Klasse" leben. Ein Rezensent schrieb zutreffend, dass das Buch etwas für diejenigen ist, die sich noch über die zwei Kulturen von C.P. Snow ereifern können.

*** Was echte Bobos heute leisten, habe ich in der letzten Woche nur andeuten können. Mittlerweile liegt das Erbrochene öffentlich vor. Getretner Quark wird breit, nicht stark. Um das Elend zu komplettieren, gibt es eine denkwürdige Antwort. Ich erlaube mir, mit der Verlinkungs-Freiheit des Internet die Anmerkungen zur Ethik wiederzugeben. Statt Kant siegt die ökonomische Vernunft der klaren Kante, wer Ethik sucht, wird mit der Kapitalfrage abgespeist, denn sautalentierte Leute leben in einer geilen Zeit:

"Wer gut ist, hat Erfolg. Wer wirklich gut ist, hat auch mehrfach Erfolg. Da Internet Unternehmen extrem produktgetrieben sind, und der technische Wandel extrem schnell, ist das System auch sehr 'durchlässig'. Clevere Leute mit einer guten Idee und einer guten Umsetzung sind noch nicht einmal auf Kapital angewiesen. Viele der sehr erfolgreichen deutschen Unternehmen sind dabei mit extrem wenig oder gar keinem Kapital entstanden – z.B. aus eigener Erfahrung Spreadshirt.net; oder auch Gameforge.de; international fallen mir spontan Badoo oder Minecraft ein, die mit wenig bis keinem Kapital gestartet sind. Und die Szene ist extrem plural – die von einigen kolportierte 'Kartellbildung' kann ich keinesfalls beobachten. Das Ökosystem ist vielmehr extrem bunt und vielfältig. Und die meisten Leute sind extrem cool & fair. Der Wertschöpfungs- und Innovationsgrad ist einfach so hoch, dass es total dumm wäre, unfair zu spielen, etc. Mehr an Ethik immer gerne – aber ich glaube, wenn man sich entscheiden müsste, dann stiften andere Debatten mehr Wert (z.B. Leistungsorientierung; Vorbilder; 'deutscher Neid', etc.).

*** Leistungsorientiert auf Zack greife ich mal vor und schaue, was das Kartell in den nächsten Tagen so alles macht. Nicht in Berlin, wo Ehssan Dariani zu einem bobodadaistischen Anti-Investoren-Dinner in einem Schöneberger Restaurant bittet, mit der schwer ethischen Maxime: "If evil people refuse persistently and for years to behave human, then it is legitimate to treat them like animals." Nein, der Blick geht in die bayerische Provinz zu Burda, wo man sonst gern das nachbetet, was in Berlin so vorgebetet wird. Dort taucht auf der nächsten Ausgabe der DLD Peter Thiel auf, der ultrarechte Vordenker der New Economy, der mit Blueseed einen eigenen Staat für obszön reiche Bobos gründen will. Als digitaler Vordenker wird Thiel eine Public Lecture über das transhumanistisch-cartesianische Neue Ich der Bobos halten. Leistungsorientiert werden ihm die Samwers, die Gadowskis – und wie sie alle heißen mögen – die Füße salben.

*** Dank der Consumer Electronics Show wird niemand sagen können, dass die Woche arm an Nachrichten war. Auch wenn der Informationsgehalt so mancher Nachricht außerordentlich niedrig war, zeichnet sich doch ab, dass der "Consumer" ein armes, Gadget-behängtes Schwein sein soll, das vorgefertigte Inhalte frisst und bei jedem Fraß den vollen Preis zahlen soll. Behütet werden muss er auch noch, von Kindesbeinen an. Zum kindgerechten Ständer für das iPad, zum mitlernenden Scheißtopf und zur meckernden Hapi-Gabel gehört saubere Literatur. Wir denken an die Kleine Hexe, in der nicht mehr gewichst wird und Pippi Langstrumpf, in der Pippis Vater nur Südseekönig ist. Ein Huckleberry Finn, in dem der "Nigga" vom Antidiskriminierungs-Grep zum Sklaven verändert wird. Wenn es in diesem Stil weiter geht, sind sicher bald die Computerspiele an der Reihe und bitte, strahlt nicht der "Hacker" eine Gewalt aus, die zarte Kinderherzen verstören kann? Wie wäre es mit Computerflüsterer?

*** Bedenklich nur, dass bei der Jugendsprache Halt gemacht wird und es das grenzdebile Yolo zum Jugendwort des Jahres brachte. Dass Yolo im Slang auf Armleuchter verweist, ist den klugen Sprachforschern entgangen. Die neue saubere Kultur hält auch für Erwachsene Überraschungen bereit, etwa "All the Bits", ein Buch aller Skripte der Monty-Phyton-Sketche, in dem darauf hingewiesen wird, dass für diesen Sketch kein Papagei getötet wurde. Auch dass vor dem Sketch gewarnt wird, in dem ein Kunstkritiker handgreiflich wird und seine Frau erwürgt, sagt viel über unsere sicherheitszentrierte Zeit aus. Oder muss das sicherheitszensiert heißen? Mal sehen, was Ken in der Hose hat, wenn BER in Berlin eröffnet, das Barbie Entertainment Resort.

*** Es gibt sie übrigens noch, die guten Dinge. Freuen wir uns mit First Monday, das gerade die 200. Ausgabe veröffentlichen konnte und reger denn je debattiert wird. Der Artikel über Gender und Sexismus in der Open-Source-Szene sei allen ans Herz gelegt, die sich über die Nicht-Debatte nach dem Chaos-Kongress ärgern, in der Kommentare unerwünscht sind.

Was wird.

Auf dem Kongress des CCC wurden alle harten Hacker klar und deutlich davor gewarnt, sich mit ihren Kenntnissen dort zu verdingen, wo Überwachungstechnologien programmiert oder verfeinert werden. Ein gutgemeinter, typisch deutscher Vorschlag, wie es der bereits erwähnte DLD zeigt. Glaubt man der Ankündigung, gibt es in Israel keine Vorbehalte, bei der Schaffung eines Überwachungsstaates mitzumachen. Schön auch das Beispiel überwachter Kinder aus Singapur, in dem davon die Rede ist, dass man frühzeitig an eine Kultur der Überwachung gewöhnt werden muss, ganz ohne störende Fußfessel-Diskussionen.

Immer dieser Datenschutz: Zum Jahresanfang steht die Neufassung des Beschäftigtendatenschutzesetzes zur Abstimmung an. Im neuen Gesetz findet sich ein Verbot der planmäßigen Videoüberwachung von Arbeitsplätzen sowie ein Verbot der heimlichen Videoüberwachung. Auch der Einsatz von Überwachungssoftware, die Screenshots anfertigt oder sonstwie die Arbeitsleistung festhält, soll nur dann punktuell erlaubt sein, wenn bei Beschäftigten ein gravierender Anfangsverdacht zu einer Straftat gegeben ist. Eine genereller Einsatz dieser Software ist nicht erlaubt. Man darf gespannt sein, welche Gesetzespassagen zu den Streichresultaten gehören, wenn es zur Abstimmung geht.

Weil es so kalt ist und die Zeit bis zum Sommerrätsel elendig lang anmutet, ende ich heute mit einem kleinen Rätselspaß. Hier findet sich, brandneu ins Netz getütet, die neue Deutsche Datenlizenz für nichtkommerzielle Nutzung, hier die Erläuterung zur Lizenz. Die Frage lautet: Wie ist eine nichtkommerzielle Nutzung definiert? Wer sich dabei den Kopf zerbricht, kann weder den Verlag noch mich haftbar machen: Die Verletzung des Lebens, die körperliche Unversehrtheit oder die geistige Gesundheit können bei jeder Lektüre ernsthaft in Gefahr geraten. (jk)