Niedersachsenwahl: Rot-Grün gewinnt knapp, Piraten gehen unter

Regierungswechsel in Niedersachsen: Rot-Grün hat die Landtagswahl nach einem stundenlangen Auszählungskrimi gewonnen - mit der kleinsten möglichen Mehrheit von einem Mandat. Die Piraten verfehlen den Einzug in den Landtag deutlich.

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Von
  • Anja Semmelroch
  • Ulrich Steinkohl
  • dpa

Schwarz-Gelb ist mit einer schmerzhaften Niederlage in das Bundestagswahljahr gestartet. Niedersachsen wird künftig von Rot-Grün regiert. Die CDU/FDP-Koalition von Ministerpräsident David McAllister ist nach zehn Jahren abgewählt. Nach der Landtagswahl vom Sonntag haben SPD und Grüne im Parlament allerdings nur eine Stimme Mehrheit. Die Piratenpartei muss nach den zuletzt erzielten Erfolgen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eine Niederlage einstecken: Sie verfehlt den Einzug in den niedersächischen Landtag deutlich.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis verlor die CDU 6,5 Prozentpunkte, blieb aber mit 36,0 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der SPD, die auf 32,6 Prozent (plus 2,3) kam. Die Grünen erzielten 13,7 Prozent (plus 5,7), die FDP erreichte 9,9 (plus 1,7) und die Linke 3,1 Prozent (minus 4,0). Die Piratenpartei landet bei 2,1 Prozent. Mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ergibt sich folgende Sitzverteilung: CDU: 54; SPD: 49; Grüne: 20; FDP: 14. Das bedeutet eine Ein-Stimmen-Mehrheit im neuen Landtag für Rot-Grün gegenüber Schwarz-Gelb mit 69 zu 68 Mandaten. Neuer Ministerpräsident wird der bisherige hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil. Die Wahl gilt als wichtiger Stimmungstest für die Entscheidung im Bund im Herbst.

FDP und Grüne erzielten jeweils ihre besten Ergebnisse bei einer Landtagswahl in Niedersachsen. Stundenlang sah es am Wahlabend in den Hochrechnungen nach einem Patt oder knappen Sieg von Schwarz-Gelb aus. Die CDU fuhr aufgrund einer massiven FDP-Zweitstimmenkampagne eines ihrer schlechtesten Ergebnisse ein. Die SPD legte leicht zu. Die Linke flog aus dem Landtag, auch die Piraten scheiterten klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung stieg leicht auf 59,4 Prozent.

Mit dem Sieg machte Rot-Grün acht Monate vor der Bundestagswahl eine Kampfansage an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Schwarz-Gelb in Berlin. Der in der Kritik stehende SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erhält neuen Auftrieb. Dem angeschlagenen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler verschaffte das beste Niedersachsen-Ergebnis seiner Partei – fast 10 Prozent – deutlich Luft.

Bitter kommt es für die Piraten: Nach den ersten Hochrechnungen gingen die TV-Sender sogar dazu über, ihr Wahlergebnis nicht mehr einzeln aufzuführen, sondern sie unter "Andere" zu subsummieren. Nach der Serie von Wahlerfolgen, die mit dem triumphalen Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 2011 ihren Anfang nahm, begann der Abstieg der Partei fast überraschend im Sommer 2012. Die Umfragewerte brachen ein, das Personal begann, sich gegenseitig zu bekriegen. Und als Parteichef Bernd Schlömer erst vor kurzem endlich klare Kompetenzen und das Recht auf Führung beanspruchte, war es wohl schon zu spät.

"Man muss auch mit Niederlagen umgehen können", sagte Schlömer am Wahlabend nur noch. Der Parteivorsitzende der Piraten gibt den Kampf um den Einzug in den Bundestag aber noch nicht verloren. "Wir sind enttäuscht, doch sehen wir jetzt auch nicht dem Ende der Welt entgegen", sagte er am Sonntagabend nach Parteiangaben. Fehler müssten analysiert und Kräfte neu aufgestellt werden. Die Piraten seien die einzige Partei, die authentisch für Bürgerrechte und Datenschutz sowie für Transparenz, mehr Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung in der Politik eintrete. Der politische Geschäftsführer der Piraten, Johannes Ponader, sagte in Hannover: "Viele Wähler haben taktisch gewählt, und dabei sind wir unter die Räder gekommen."

Etwas Statistik könnte die Piraten zudem positiver stimmen: Die vor kurzem noch zweistelligen Umfragewerte beschreiben ein Potenzial. Allein die große Zahl von Nichtwählern gerade unter den Jüngeren könnte die Piraten locker über die Fünf-Prozent-Hürde heben – wenn sie sich denn mobilisieren ließe. Dafür sind jetzt noch acht Monate Zeit.

Derweil haben die Parteien, die es in den niedersächischen Landtag geschafft haben, ihre eigenen Sorgen. Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, einer der schärfsten Kritiker von FDP-Parteichef Philip Rösler, sieht nun die Debatte über den Parteichef als erledigt an. "Die Frage nach personellen Konsequenzen an der FDP-Spitze ist nach diesem Wahlergebnis nur noch etwas für Komiker", sagte er der Leipziger Volkszeitung. Entwicklungsminister Dirk Niebel pocht aber trotzdem darauf, die Entscheidung über die Aufstellung der Partei für die Bundestagswahl vorzuziehen. Die Situation der Bundespartei habe sich nicht verbessert, sagte er der Welt. "Daher bleibe ich bei meiner Forderung nach einem vorgezogenen Bundesparteitag."

Wahlsieger Weil (54) erklärte, er werde auch mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag regieren. "Ich freue mich jetzt auf fünf Jahre Rot-Grün." McAllister (42) beanspruchte die Regierungsbildung für sich und kündigte an: "Wenn es nicht reicht für eine Fortsetzung des Bündnisses von CDU und FDP, würden wir als stärkste Kraft mit allen politischen Parteien Gespräche führen. Natürlich auch mit der SPD." Der CDU-Politiker hatte die Landesregierung 2010 nach der Wahl seines Vorgängers Christian Wulff zum Bundespräsidenten übernommen.

Die FDP mit Umweltminister Stefan Birkner an der Spitze hatte im Wahlkampf vehement um Zweitstimmen von CDU-Wählern geworben – mit Erfolg. Die Forschungsgruppe Wahlen sprach von einem "Last-Minute-Transfer im schwarz-gelben Lager": 80 Prozent der aktuellen FDP-Wähler wählten eigentlich CDU. Am Ende verteidigte die FDP nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen den dritten Landtag in Folge. Das sei auch ein Erfolg Röslers, sagte Generalsekretär Patrick Döring.

Die Niedersachsen-SPD litt unter fehlendem Rückenwind aus Berlin, wo Steinbrück seit Wochen wegen seiner Nebenverdienste und Äußerungen zum Kanzlergehalt in der Kritik steht und in den Umfragen abgestürzt ist. Steinbrück räumte ein, dass es aus Berlin keine Unterstützung für Hannover gegeben habe. "Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage." Gleichwohl stärkte Parteichef Sigmar Gabriel ihm den Rücken: "Was wären wir für ein jämmerlicher Haufen, wenn wir gleich den Kandidaten auswechseln würden, wenn der Wind mal von vorne kommt."

[Update 21.01.2013 8:10]:

Für Schwarz-Gelb geht nach der Niederlage in Niedersachen im Bundesrat nichts mehr: Niedersachsen hat sechs Sitze im Bundesrat, die nun nun an Rot-Grün gehen. Die Länder, die entweder von SPD und Grünen oder von SPD und der Linkspartei regiert werden, haben nach der Niedersachsenwahl mit 36 Sitzen die Mehrheit und damit genügend Stimmen, um den Vermittlungsausschuss anzurufen sowie Gesetze anzustoßen oder zu blockieren.

Siehe dazu auch:

Siehe dazu auch in Telepolis:

(jk)