Macht Euren Kram doch alleine!

Software-Start-ups waren gestern. Jetzt kommen die Hardware-Gründer! Dank billiger Roboter, leistungsstarker Software und 3D-Druckern war es noch nie so einfach, Dinge selber herzustellen. Wird nun jeder sein eigener Fabrikant?

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Von
  • Christoph Seidler

Software-Start-ups waren gestern. Jetzt kommen die Hardware-Gründer! Dank billiger Roboter, leistungsstarker Software und 3D-Druckern war es noch nie so einfach, Dinge selber herzustellen. Wird nun jeder sein eigener Fabrikant?

Zwei mächtige Arme, ein rechteckiges Gesicht mit unbeteiligtem Blick – sieht so ein Revolutionär und Patriot aus? Ja, zumindest wenn man Rodney Brooks glaubt. Die Rede ist von Baxter, einem neuen Industrieroboter, der unkomplizierter und menschlicher sein soll als alle seine Vorgänger. Brooks ist einer der bekanntesten Roboterbauer der Welt und Baxter sein jüngstes Baby. Der Ex-Chef des Artificial Intelligence Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT) leitet mittlerweile die Firma Rethink Robotics. Und deren Mitarbeiter haben auf dem Gelände einer alten Ziegelei in Boston rund fünf Jahre an dem Gerät getüftelt, das – zusammen mit ähnlichen Maschinen – die Warenproduktion auch in Hochlohn-Gefilden wie den USA wieder attraktiv machen könnte. Geht es nach ihnen, würde der Roboter manuelle Aufgaben zu Preisen erledigen, die mit Sweatshops in weit entfernten Schwellenländern konkurrieren können. Sprich: zu vier Dollar pro Stunde.

Baxter sieht wie ein zu groß geratenes Spielzeug aus, und so fühlt er sich auch an. Seine Hülle besteht aus Kunststoff und nicht dem bei herkömmlichen Industrierobotern üblichen Stahl. Der Bildschirm zeigt statt Kontrollnachrichten und Befehlsketten ein Augenpaar, das dorthin blickt, wo Baxters Greifarme gerade arbeiten. Für die Bedienung sind an jedem der beiden Arme schwarze Knöpfe angebracht, der Roboter steht auf einem Ständer mit Rollen, der mehr an Kleiderpuppen als an Hightech erinnert. Das Design verrät, was Baxter sein soll: ein Roboter für jedermann. Mit ihm will sein Erschaffer Brooks nichts weniger als die US-Wirtschaft voranbringen.

Im Moment macht die Herstellung physischer Güter nur noch ein Viertel der amerikanischen Wirtschaftsleistung aus. Doch mittlerweile träumen Politiker in den USA vom „Reshoring“, dem Zurückgewinnen von Jobs, die ins Ausland verlegt wurden – aus Kostengründen. Apple hat das für eine Baureihe seiner Mac-Rechner bereits angekündigt. Und auch Baxter selbst wird in den USA gebaut, womit Rethink Robotics offensiv wirbt. „Wir stellen teure Produkte mit Maschinen her, aber billige immer noch per Hand“, sagt sein Schöpfer Brooks. „Das ist eigentlich paradox, aber der Grund ist, dass heutige Industrieroboter nicht dafür geeignet sind, mit Menschen direkt zusammenzuarbeiten.“ Weil sie zu gefährlich sind.

Baxter soll das ändern. Er arbeitet zwar deutlich langsamer als die rasend schnellen Roboterarme etwa in der Autoindustrie. Dafür aber auch mit deutlich weniger Wucht und sehr viel mehr Rücksicht. Kommt ihm ein Kollege aus Fleisch und Blut zu nahe, bremst er ab oder stoppt sogar ganz. Brooks jedenfalls glaubt an die Ungefährlichkeit seiner Maschine: Für Fotografen hält er schon einmal seinen Kopf zwischen die werkelnden Roboterarme, um zu beweisen, wie akkurat sie stoppen. Daraus ergibt sich ein weiterer Vorteil: Arbeitsabläufe müssen nicht speziell auf den Roboter zugeschnitten werden. Die Anwender sparen sich Integrationskosten, die bei herkömmlichen Industrierobotern „das Drei- bis Fünffache der Kaufsumme betragen“, erklärt Brooks. Baxter kostet zwar immer noch 22000 Dollar, liegt damit aber nur bei einem Viertel der Anschaffungskosten für einen klassischen Fertigungsroboter. Sein Schöpfer ist überzeugt: „Er wird die Produktion von Gütern revolutionieren, weil er so wenig kostet.“

Und: Baxter ist unkompliziert. Selbst ungelernte menschliche Kollegen sollen den Roboter trainieren können. Um ihm eine Aufgabe zuzuweisen, reicht es, die Maschine wie ein Kind bei ihren beiden Armen zu nehmen, den schwarzen Knopf zu drücken und ihr die Bewegung vorzumachen: Nimm einen Gegenstand, der so und so aussieht an dieser Stelle auf und lege ihn dort drüben wieder ab. Mache damit so lange weiter, wie du Nachschub bekommst. Das klappt offenbar tatsächlich, wie Tester der Maschine bestätigen: Seine Mitarbeiter hätten „innerhalb von Minuten“ gelernt, den Roboter für einfache Aufgaben zu programmieren, sagt Chris Budnick, Chef der Firma Vanguard Plastics, die als Zulieferer im US-Bundesstaat Connecticut verschiedenste Spritzgussteile für andere Unternehmen herstellt. Zweimal haben Budnicks Leute den Roboter bisher getestet – in diesem Jahr soll er nun in den Routinebetrieb gehen. „Baxter ist sehr flexibel und kann einfach umprogrammiert werden, wie es die sich ständig ändernden Bedingungen in unserer Fabrik erfordern“, sagt Budnick.

Noch hat Rethink keinen Baxter verkauft. Aber es gibt Anfragen, wie Mitch Rosenberg, stellvertretender Marketingleiter, erzählt. „Viele scheinen Baxter wie eine ganz neue Kategorie zu betrachten, die man in kleinen Stückzahlen anschaffen sollte.“ Die Investoren jedenfalls scheinen an den freundlichen Roboter zu glauben: 62 Millionen Dollar Risikokapital hat Rethink eingeworben.

Dass Baxter alles verändern wird, daran hat sein Schöpfer keinen Zweifel. „Es wird das Gleiche passieren wie im IT-Bereich“, prophezeit Brooks. „So wie Computertechnologien die Information dezentralisierten, so werden günstige, einfach zu bedienende Roboter die Industrieproduktion dezentralisieren.“ Wie simpel sich die hilfreichen Maschinen konstruieren lassen, zeigt das Beispiel der Sortiermaschine, die ein Bastler aus programmierbaren Lego-Bausteinen kreiert hat. Ein YouTube-Video demonstriert, wie die Maschine M&Ms nach Farbe in verschiedene Kästen einsortiert. Natürlich ist das Spielerei – aber eine, die das Potenzial der Robotik für den Hausgebrauch zeigt.

Derartige Ansätze sind jedoch nur die neueste Facette einer Entwicklung, die die Herstellung von Gütern grundlegend verändern könnte. Hinzu kommen Technologien wie 3D-Drucker (siehe TR 4/2011), Lasercutter und zunehmend günstigere Design-Software. Dank Hightech muss die Herstellung von Gütern nicht mehr in riesigen Fabrikhallen stattfinden, sondern ist auch im heimischen Keller möglich. „Hochwertige Produktionstechnik wird immer einfacher verfügbar“, sagt Alexander Verl, Chef des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart (siehe Interview S. 33). „Man kann mit ihrer Hilfe leichter als früher Unternehmen gründen, die Dinge herstellen.“ Um auch die Öffentlichkeit für den 3D-Druck zu begeistern, haben Verls Mitarbeiter vor einigen Monaten so ein Gerät in einen Stuttgarter Buchladen gestellt und Schmuck nach den Vorgaben der Besucher gefertigt.

Nach diesem Prinzip könnten zahllose Mini-Unternehmer in Zukunft individualisierte Produkte am Computer digital designen, Aufträge im Netz akquirieren und die georderten Waren anschließend in Garagen oder Kellern fertigen. Desktop Fabrication, Fertigung am eigenen Schreibtisch, heißt das Prinzip. Und wer nicht daheim produziert, der reicht seine Aufträge an spezialisierte 3D-Drucklabore weiter – so wie man heute Urlaubsfotos zum Ausdruck in Profi-Qualität durchs Netz schickt (siehe Kasten S. 31).

Die große Frage ist: Wie weit wird die Revolution gehen? Wird Desktop Fabrication mehr zu bieten haben als bloße Schmuckstücke, lustige Porträtfiguren und nette Spielsachen? Chris Anderson glaubt fest daran. „Wir sind jetzt alle Designer. Es wird Zeit, dass wir gut darin werden“, lautet das Credo des Ex-Chefredakteurs der Tech-Zeitschrift „Wired“. Das Phänomen der Mini-Fabriken und der Maker-Bewegung hat er gerade in seinem Buch „Makers: Das Internet der Dinge“ beschrieben (Hanser, 2013, 286 Seiten, 22,90 Euro). Die Mitglieder dieser Do-it-yourself-Bewegung des 21. Jahrhunderts eint, dass sie Dinge selbst erdenken, selbst herstellen und sich dabei neuester Technologie bedienen. Der kanadische Digital-Visionär Cory Doctorow („Makers“, HarperCollins, 2010, 585 Seiten, 8,30 Euro) und der US-Softwareentwickler und Autor Daniel Suarez („Darknet“, rororo, 2011, 480 Seiten, 9,99 Euro) haben ihre Vision der dezentralen Produktion in Romanform formuliert.

(jlu)