Weltpremiere bei Yamaha: Der live gestreamte Klavierspieler

Sie haben ein Yamaha Disklavier daheim? Dann können Pianisten bald Remote-Live-Konzerte bei Ihnen zu Hause geben.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Kai Schwirzke

26. Januar, 6:30 Uhr. Rellingen bei Hamburg. Trotz der frühen Morgenstunde füllt sich das kleine Foyer vor dem Pianosaal der Yamaha-Europa-Niederlassung. Das große Gala-Konzert anlässlich des 125-jährigen Firmenjubiläums wird live im Internet aus Anaheim, Kalifornien, übertragen. Zum krönenden Abschluss wird Sir Elton John – begleitet von einem 70-köpfigen Orchester unter der Leitung von James Newton Howard – in die Tasten greifen und einige seiner Welthits zum Besten geben.

Mit einem ganz normalen PC klinkt man sich in den Live-Stream ein.

Die Besucher erwartet eine Weltpremiere: Nicht nur Bild und Ton werden gestreamt, sondern Sir Elton steuert mit seinem live gespielten Flügel, einem Yamaha Disklavier, zig andere rund um den Globus verteilte Disklaviere. In Rellingen etwa steht ein Flügel vom Typ CS6. Schlägt Sir Elton einen C-Dur-Akkord in Anaheim an, bewegen sich wie von Geisterhand dieselben Tasten in Hamburg, mit exakt identischer Anschlagsstärke, im gleichen Rhythmus. Der Zuschauer erlebt so eine faszinierende Mixtur aus konventioneller Live-Übertragung und tatsächlich vor Ort gespieltem, wenngleich ferngesteuertem Instrument. Zugeschaltet sind neben Hamburg unter anderem Paris, London, Malaysia, Russland, Korea und Japan.

Gleichzeitig übertragen werden die Audiodaten (Orchester, Gesang), der Video-Stream und als spezielle MIDI-Daten das Live-Klavierspiel von Sir Elton John.


Möglich wird all dies durch die Disklavier-Technik. In diesen prinzipiell akustischen Klavieren und Flügeln erfassen zwei hochsensible Lasersensoren am Anfang und Ende der Taste das Spiel des Pianisten mit bis zu achtfacher MIDI-Dynamik. Das bedeutet, jede Note kann in 1016 Lautstärkenuancen aufgelöst werden (MIDI nur 127). DSP-gesteuerte Servomotoren bedienen dann beim Abspielen eine ausgeklügelte Mechanik, die jede einzelne Taste automatisch anschlagen kann. So lassen sich die eingangs eingespielten Daten auf jedem Disklavier wiedergeben. Salopp gesprochen, handelt es sich bei diesen Instrumenten um Hitech-Varianten des alten Lochstreifen-Pianos namens Welte-Mignon.

Authentischer Klaviersound, womöglich bald bei Ihnen im Wohnzimmer beziehungsweise im Musik-Salon

Um die Steuerdaten des Disklaviers parallel zum regulären Bild und Ton übertragen zu können, verfiel man bei Yamaha auf einen simplen Trick: die linke Audiospur überträgt die "analog MIDI" genannten Daten als eine Art weißes Rauschen, auf der rechten Spur befindet sich das monophone, herkömmliche Audiosignal. Die Trennung kann automatisch durch das Disklavier, aber auch durch ein kleines Mischpult erfolgen. Ebenfalls in den Steuerdaten enthalten: Der notwendige Offset, damit Klavier und Audio/Videostream synchron spielen. Der Stream selbst wird über eine reguläre URL mit einem PC abgerufen, wobei die Videoqualität dynamisch der verfügbaren Bandbreite angepasst wird.

Selbstspielende Klaviere sind alles andere als neu. Hoffentlich haben die vielen Auftritte dieser Gattung in Gruselfilmen ihrem Image nicht zu sehr geschadet... Mehr Hifi geht schließlich derzeit nicht.

Nachdem beim frühmorgendlichen Soundcheck um 1:30 Uhr mit Sir Elton – übrigens im feschen Trainingsanzug – alles wie am Schnürchen lief, wich die Anspannung vorsichtigem Optimismus. Zu recht, denn der Webcast verläuft mit der Präzision eines Uhrwerks. Das Disklavier in Rellingen spielt mit beinahe unheimlicher Präzision zum Reststream, und das unterbrechungsfrei bei bester Intonation (Grundstimmung übrigens ungewöhnliche 440 Hz, üblich sind 442 bis 444 Hz).

Disklavier TV – Remote Live nennt Yamaha diese Technik, die im April zunächst allen US-amerikanischen Besitzern eines solchen Instruments zugute kommen soll. Wie genau das Content-Angebot hierzu aussehen wird, weiß man in Rellingen noch nicht. Denkbar sind beispielsweise kostenpflichtige "Live-Auftritte" von Künstlern wie Alicia Keys. Ebenfalls noch unklar ist, ob solche Darbietungen später per DRM geschützt werden. (gr)