Hirnsimulator wird europäisches Forschungs-Flaggschiff

Die EU hat zwei Forschungsprojekte nominiert, die im kommenden Jahrzehnt mit jeweils einer Milliarde Euro gefördert werden. Mit dabei sind das Human-Brain-Project und das Graphen-CA-Konsortium.

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Die EU hat zwei Forschungsprojekte nominiert, die im kommenden Jahrzehnt mit jeweils einer Milliarde Euro gefördert werden. Mit dabei sind das Human-Brain-Project und das Graphen-CA-Konsortium.

Die Europäische Kommission hat am Montag zwei Leuchtturmprojekte benannt, die in den kommenden zehn Jahren mit insgesamt je einer Milliarde Euro finanziert werden sollen. Die Initiativen Human Brain Project und Graphene CA sind von einem Expertengremium aus einer Liste von sechs Projekten ausgewählt worden, die sich um den Status eines FET-Flagships beworben hatten:

  • Das Projekt "FuturICT": die Computersimulation sozialer, ökonomischer und politischer Systeme.
  • Das Konsortium "Graphene CA": die systematische Erforschung und Entwicklung von Graphen-Mikroelektronik.
  • Das Vorhaben "IT Future of Medicine": die Entwicklung einer "datengetriebenen" individualisierten Form der Medizin, bei der jeder praktizierende Arzt das persönliche Genom seiner Patienten nutzt.
  • Das "Human Brain Project": die biologisch realistische Simulation des menschlichen Gehirns, die nicht nur helfen soll, Krankheiten wie Alzheimer zu behandeln, sondern auch den Bau biologisch inspirierter "Robotergehirne" ermöglicht.
  • Das Projekt "Robot Companions for Citizens": die Entwicklung "vernunftbegabter" Roboter, die ein Bewusstsein von sich selbst haben.

Graphen weist eine außergewöhnliche Kombination physikalischer und chemischer Eigenschaften auf: E300-mal stärker als Stahl, und lässt sich trotzdem bis zu 20 Prozent seiner Länge dehnen. Es habe ein optimales Verhältnis von Oberfläche zu Gewicht und eignet sich damit hervorragend zum Einsatz in Energiespeichern. Zudem ist der Stoff transparent und leite sowohl Strom als auch Wärme exzellent "Graphene CA" will diese Eigenschaften beispielsweise in flexiblen Funketiketten oder in Lithium-Ionen-Akkus und Superkondensatoren nutzen.

Das "Human Brain Project" will die weltweit größte Versuchsanlage für die Entwicklung eines äußerst detaillierten Modells des menschlichen Gehirns aufbauen, damit untersucht werden kann, wie das menschliche Gehirn funktioniert, um so letztlich individuell angepasste Behandlungsverfahren für neurologische und ähnliche Erkrankungen zu entwickeln. Projektleiter Henry Markram leitet das Blue Brain Project, in dem das Gehirn einer Ratte simuliert wird. Es ist – wenn man so will – ein Vorläufer für das Human Brain Project. Bereits 2007 gelang es dem Team an der EPFL, mithilfe ihres eigenen Supercomputers einen kleinen Teil des Rattenhirns, die sogenannte neokortikale Säule mit 10.000 Neuronen, auf zellulärer Ebene zu simulieren. Die Säule gilt als einer der Grundbausteine des Gehirns, weil sie konkrete Sinnesreize in abstraktere Muster umsetzt, die dann von anderen Hirnarealen weiterverarbeitet werden.

Kritiker werfen dem Hirnforscher allerdings zu viel PR und zu wenig Substanz vor. Heftige Kritik musste Markrams Team beispielsweise von Kollegen aus Zürich einstecken, die in dem Vorhaben in erster Linie die Verschwendung öffentlicher Gelder sehen. ETH-Forscher Richard Hahnloser nannte es "ungeheuerlich", dass für ein Projekt mit derart ungewissem Ausgang Hunderte von Millionen ausgegeben werden sollen.

Das Geld für diese ambitionierten Projekte kommt jedoch nicht komplett aus dem EU-Haushalt. Für 2013 erhält jeder der beiden Gewinner von der Europäischen Kommission im Rahmen des IKT-Arbeitsprogramms 2013 Fördergelder in Höhe von jeweils bis zu 54 Millionen Euro. Weitere Mittel sollen dann nach Angaben der EU-Kommission aus "nachfolgenden EU-Forschungsrahmenprogrammen sowie von privaten Partnern, Universitäten, Mitgliedstaaten und der Industrie" kommen.

Eine dauerhafte Finanzierung soll dann durch die EU-Forschungsrahmenprogramme gesichert werden, vor allem durch das Programm "Horizont 2020", über das allerdings derzeit noch im Europäischen Parlament und im Rat verhandelt wird. Um neue Impulse für Forschung und Innovation zu setzen und somit Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln, hat die Kommission für einen Zeitraum von sieben Jahren ein ehrgeiziges Budget von 80 Milliarden Euro vorgeschlagen, zu dem auch das Programm der FET-Leitinitiativen gehört. (wst)