Verriss des Monats: Der Gesichtsprivatisator

Gefahrenabwehr im Geiste der Rube-Goldberg-Maschine: Mit bizarrem Aufwand gegen Überwachung und Privatsphärendefizite.

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Von
  • Peter Glaser

Gefahrenabwehr im Geiste der Rube-Goldberg-Maschine: Mit bizarrem Aufwand gegen Überwachung und Privatsphärendefizite.

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Isao Echizen, außerordentlicher Professor am Nationalen Institut für Informatik in Tokio, ist Spezialist für Kopierschutztechnologien wie digitale Wasserzeichen. Er war unter anderem Mitglied einer Arbeitsgruppe mit dem schönen Namen "Data Hiding Subgroup", der Copy Protection Technical Working Group (CPTWG) zugehörig, einer von Technologiefirmen und Unternehmen aus der Film- und Unterhaltungsindustrie gegründeten Organisation, die urheberrechtlich geschützte Inhalte vor unberechtigter Nutzung bewahren sollte, die ihre Arbeit inzwischen aber offenbar eingestellt hat.

Nun hat Professor Echizen ein Gerät entwickelt, das gewissermaßen einen Kopierschutz für Personen darstellt. Mit einer bizarren Brille, die er "Privacy Visor" nennt und die an eine Bladerunner-Version augenärztlicher Gerätschaften erinnert, soll sich verhindern lassen, dass harmlose Bürger insgeheim fotografiert oder gefilmt und per Gesichtserkennung digital deprivatisiert werden. Dem Professor war aufgefallen, dass die Google-Gesichtserkennung in dem Bilderverwaltungsdienst Picasa ein Gesicht auch noch erkennt, wenn es hinter fünf verschiedenen Sonnenbrillen verborgen ist. Nun stellt er die ultimative sechste Brille vor, hinter deren Gläsern Infrarot-LEDs in einem bestimmten Muster wirken, das die Bildsensoren digitaler Videokameras und Fotoapparate ernsthaft stört.

Das Verfahren, das bei Monty Python mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit Algorithmenverwirrer heißen würde, lässt jedoch einige Fragen offen. Mag sein, dass es an dem klobigen Prototyp liegt, aber man würde natürlich gern wissen, wie es jemandem gelingen soll, unerkannt zu bleiben, wenn er mit einer Art kleinem Gewächshaus im Gesicht herumläuft. Es ist ein sonderbarer Zaubertrick, der mich an eine Zirkusvorstellung erinnert, bei der ich den wahrscheinlich schlechtesten Zauberer der Welt gesehen habe, der aus einer Vase, die so groß war wie ein Mädchen, ein Mädchen hervorzauberte.

Der russische Milliardär Roman Abramowitsch hat sich eine solche Erkennungsabwehr übrigens angeblich schon 2009 in seine inklusive U-Boot und Raktenabwehrsystem 850 Millionen Euro teure Jacht "Eclipse" einbauen lassen. (Die in Hamburg gebaute "Eclipse" wurde während des Baus zweimal verlängert, um die damals längsten Jacht der Welt, die im Besitz des Emirs von Dubai befindliche "Dubai", zu übertreffen.) Ein Laser-Schild soll als Paparazzi-Blender die Privatsphäre der Gäste auf dem Superschiff schützen: Abramowitsch soll ein System erworben haben, das "gebündelte Lichtstrahlen auf die Bildsensoren von Kameras abfeuert" und damit unterbindet, dass digitale Fotos geschossen werden.

Allerdings machen Forscher am Georgia Institute of Technology, die 2006 ein derartiges System entwickelt haben, darauf aufmerksam, dass es gegen digitale Spiegelreflexkameras, wie sie viele Reporter heute benutzen, nichts ausrichten könne.

Eine analoge Methode, algorithmische Gesichtserkennung zu verhindern, nennt sich "Maske". Weltweite Beliebtheit in dem Zusammenhang hat die Maske des Attentäters Guy Fawkes aus dem Comic V wie Vendetta erlangt, die sich das Netzkollektiv Anonymous als sozusagen Nichterkennungszeichen ausgesucht hat. Der Aufwand, den Professor Echizen für die Maskierung betreibt, erinnert stark an die beliebte Rube-Goldberg-Maschine, die inbildhaft für Konstruktionen steht, bei denen mit einem Maximum an Aufwand ein Minimum an Ergebnis erzielt wird.

Etlichen überwachungsabgeneigten Berichterstattern graut im Zusammenhang mit dem "Privacy Visor" vor der Vielzahl an Anwendungs- und Missbrauchsmöglichkeiten der automatischen Gesichtserkennung, die unter anderem bei Google und Facebook eingesetzt werde. Allerdings ist die im Dezember 2010 eingeführte (manuelle) Markierungsfunktion von (automatisch) erkannten potenziellen Freunden und Bekannten seit September 2012 in den EU-Ländern wieder abgeschaltet. Wie Fotos von Gesichtern nachträglich mit einer Brille mit Infrarot-LEDs ausgestattet werden sollen, um unerkannt zu bleiben, ist auch noch nicht ganz klar.

Längst befassen sich auch Künstler mit Datenblockaden. So führte im Dezember 2007 auf dem Chaos Communication Congress in Berlin eine Hackerin namens ladyada unter dem Rubrum "Design Noir" Kontratechnologien vor, die den privaten Bereich vor unerwünschten elektronischen Eindringlingen schützen sollen – darunter eine Brille, die sich automatisch verdunkelt, wenn ein Fernseher zu sehen ist. Möglicherweise lässt sich das Jammen von Signalen, die keinen was angehen, sogar auf biologischem Weg bewerkstelligen. Techniker der australischen Telefongesellschaft Telstra Country Wide sind beispielsweise der Ansicht, dass größere Gruppen von Eukalyptus-Bäumen Telefonsignale unterbrechen und daran schuld sind, dass in einigen Regionen Australiens der Handy-Empfang gestört ist. Die Frage ist also: Wo wächst die Facepalme? ()